sterntaler

schenk mir sternenstaub
glitzernden abrieb des unerreichbaren
vom himmel hoch
streu wisperndes gold
in meinen schoß


            ~.~

zwischen den Jahren

von Herzen ein Dank
an alle
die vorbeikamen
und 
hängen blieben



die Worten ein Echo gaben
und Wörtern ein Bild
die Träume ernst nahmen
die mich zum Lachen verführten
und Gedanken ins Rollen brachten

Foto: (c) Evi Neundorf

HochZeit

wenn Lippen sich im Nest des Haars
verfangen
wenn der Nachthund mit rauer Zunge
die Kehle kitzelt
und sich die Zwerge auf den Hügeln
vor Lachen schütteln

dann, ja dann, Liebster
halten wir HochZeit


            ~.~

erste Erinnerung

ich weiß noch wie
er ins Feuer flog
und wie die Flammenteufel golden sprühten
als sie ihn fraßen

dann
schloss Mutter
die Ofentür


            ~.~

wollsachen

ich strick mir
eine warme welt
zwei links zwei rechts
und eine die
fällt
ich hab sie fallen lassen
ins Loch bohr ich den Finger
versuche sie zu fassen
die  andere
dahinter
die  wilde weiße
winter
frost klirrend kalte
welt die
fällt
sie fällt
ich muss sie fallen lassen

Foto: Katrin Schäflein www.picturepilot.de

Dame König

ich setz dir eine Krone auf
du bist mein König
wenn du sie nicht mehr willst, dann
tret sie in den Staub
kein andrer wird sie tragen
sie war für dich
allein

.

die roten Schuhe
sind ganz wild
auf jungfräuliches Weiß
.













drei engel leiten mich
drei teufel reiten mich
ich
bin dazwischen
ich

gegen die Kälte

zauberhaft

der Moment

in dem
alles was du berührst
zu Samt wird

in dem
du die Kiesel im Fluss deiner Zeit
nicht mehr spürst nur 
feinkörnigen Sand unter deinen Sohlen
sanftraue Lippen auf deiner Haut

in dem
der Wind dich streift
mit seiner scharfen Klinge

U-Bahn 6.35

Du schon wieder.

alle fahren vorwärts
nur du nicht
immer sitzt du gegen
die Fahrtrichtung
du blickst dem Morgen frech
frontal in unsre grauen Gesichter

Muss das sein.

wir spiegeln uns
in deinen fetten Brillengläsern
wir verzerren verschwimmen
fangen an vor unseren Augen zu tanzen
schneiden alberne Grimassen
und dann …

lächeln wir dich an

Nachtschatten













die Schatten der Nacht
sind nur mir allein nur mir
durch wirre Träume irre ich
reite auf den Atemwellen
des Trommlers der an meiner Seite
träumt und kämpft und lacht
den ein Pferd tritt im Schlaf

ein wilder Schrei 
reißt mich aus meinem Träumen
und ich springe spring rasch
über den Riss rasch hinüber
bevor er mich verschlingt
tauch wieder ein folge
der goldenen Spur
laufe auf Grund
strande
im Dämmer des Morgens

Foto: (c) Katrin Schäflein www.picturepilot.de

stabile Seitenlage

Wenn ich mich
mit dem Fahrrad scharf in die Kurve lege und
dabei nicht im Kies ausrutsche, ist das fast schon
eine stabile Seitenlage. Wenn ich rutsche, dann
liege ich tatsächlich, und zwar stabil.
Daheim im Bett nehme ich stöhnend
die stabile Lage auf der unverletzten Seite ein.
Gott-sei-Dank habe ich nur zwei Seiten, sonst
ginge das Spiel ewig weiter. Eine stabile Seitenlage
führte zur nächsten, und ich wüsste schließlich
nicht mehr, dass es auch noch den festen Stand
mit beiden Füßen auf der Erde, den Handstand oder
gar den Kopfstand gibt. Den übe ich gerade.
Er ist noch ziemlich instabil.
Ich kippe und finde mich in der stabilen Seitenlage wieder.
Die Lage scheint ziemlich stabil zu sein.
Am besten, ich bleibe einfach liegen, dann kann mir nichts
mehr passieren.

Schwarzwasserspiegel

Schwarzwasser
tiefer still als die Stille
vor dem Sturm

99 ...

der Klingelton dringt ein
trotz Sicherheitsanlage 
Alarm schrillt durch den Kopf
Blut rast durch unsichtbare Bahnen
Adrenalin steigt höher als der Arzt erlaubt
der Puls ein Sprinter weiß
er kommt ins Ziel vor allem andern
treibt mir die Röte auf die Stirn
die ich nicht bieten kann

der Rohbau bröckelt
schon
nirgends ein Luft...

So alt

Augen voll Raureif
der Winter zeichnet sich
in deinem weißen Haar
die Zartheit deiner Haut
erinnert

so alt

dein Vogel
endlich frei

November-Venus

Dein Mund träufelt Worte
In träumende Augen

Schwarz war unsre Nacht
Grau dämmert uns morgen


Foto (c) Katrin Schäflein www.picturepilot.de

Marmeladenbrot

Abgetretener Steinboden im Sonnenlicht. Es riecht nach Kuhstall. Die Fliegen surren. Fette, grünlich schillernde Schmeißfliegen. Setzen sich auf die  Marmelade. Stippen den Rüssel genüsslich hinein. Heben ab, surren weiter wie kleine Hubschrauber. Landen mit klebrigen Füßchen auf der Butter.
Die Butter, gelblich, leicht ranzig schon, zerhackt in einem sinnlosen Massaker.
Magst du ein Marmeladenbrot?
Nein, nein danke! Ich hab keinen Hunger.
Er ist mir vergangen. Aber, ich lieb dich trotzdem.

lullaby

tief drin
in deiner Mantelhöhle
dein Herz mein Herz
zusammen ganz allein
der Lärm der Welt
gedämpft verschwommen
der Schlag der Herzen
lullt mich ein

Endstation Sehnsucht

in sich versunken träumen die Paläste
Modergeruch schwappt sacht ins Boot
auf dem Kanal treibt heimatlos
das Jaulen eines Hundes
verfolgt von einer Brise
Abendrot
verwaschene Romantik flattert
auf den Leinen und
in den Kulissen hockt
der Tod

Foto: Katrin Schäflein www. picturepilot.de

Traumfrau

ich webe mir ein Kleid leicht
wie ein Rosenblatt aus Federwolken
um meine Hüften trag ich goldne Schlangenhaut
zart und porös wie alte Seide
den Saum besticke ich mit Glöckchen
heller Kinderstimmen die mich leiten
durch die Nacht

ich poche im Vorbeigehn
an die Türen deiner Räume so leise
dass du mich kaum hörst schlaf nur
doch lass mich trotzdem ein
ich wiege dich im Schlaf und hüte
deine wilden Träume
bis du erwachst

tierisch verquer

Man(n) stolpert über Hund
weil das Vieh quertreibt
quer über den Gehweg treibt
hin zerrt zu einem Duft
der erst das Paradies verheißt
um dann einfach zu verduften
[Herrgottnochmal! Bei Fuß!]

flüchtig

wink mir nur zu
wenn ich dich in Gedanken streife
halt mich nicht fest
folg mir nicht nach
ich komm und bleib und geh
wie alles kommt und bleibt und geht
nach seinem eigenen Plan

bin ich ein Riss in deinem Film
dann füge es zusammen
das Bild in deinem Kopf
so gut du es vermagst
und setz ein Zeichen
für Erinnern und
für Weitergehen


Foto: Katrin Schäflein www.picturepilot.de

get back

früh am  Morgen sah ich
den Geist einer weißen Limousine
rückwärts
über die Kreuzung gleiten
ich folgte ihm mit meinen Augen
und verlor mich an die Dunkelheit

„get back, get back, get back
to where you once belonged“ (The Beatles)

ab in den Süden

Herbst
immer wieder Herbst
schon sammeln sich die Vögel
wie jedes Jahr im
Herbst

immer wieder
das gleiche Spiel
mit der Sehnsucht wechselnder Spieler
der gleiche Aufbruch
in den Süden

Rückkehr  vorprogrammiert

kleine paar-[bar-]geschichte

eins zwei drei
am tresen keilerei
vier bier
fünf  schnaps
sechs sekt
ich mit dir
wir
six 7 Up auf ex
nix sex [on the beach]

danke
das wär's dann

später Sommer

aus der Fülle des Sommers
schöpfe ich
Rosen
für meinen Herbst

Foto: Jeannette Frei www.jeannettefrei.de

Frankfurt Hauptbahnhof

eine Stimme träumt mir durch den Kopf
flüchtig
gestreift vom Terrorangriff einer Taube
[vor dem mich niemand warnte]
tauche ich auf neben den Gleisen
schwimme den Blick frei
zwischen blicklos Eilenden
unterwegs Himmel-Hölle via Erde
verfange mich im Netz blecherner
Durchsagen die ich nicht verstehe
fremdes Land
in dem eine schwarze Frau beschwörend
den Blumenkübel umtanzt als sei er
ein Totempfahl auf alter Erde
zerrupfte Krähe zwischen fetten Tauben
Niemandsland

.

etwas streift sacht vorbei
der letzte Engel auf dem Heimweg
nach durchzechter Nacht
.
Foto: Katrin Schäflein www.picturep

Schluss mit lustig

mein Blick streunt mir voraus
übers besetzte Feld
vorbei an den geschmückten Baumaltären
beschnüffelt die Biwaks selbst ernannter Wächter
und pinkelt an den Einsatzwagen der Staatsgewalt
bei Fuß! pfeif ich mich schrill zurück
komm her und bleib!
ich nehm dich lieber an die Leine!
dies ist ein Kriegsgebiet und 
bald ein Graben ich fühl schon
wie die Erde zu meinen Füßen
leise bröckelt

Rückwärtsgang

keine Sorge
die Erde dreht sich
nicht immer
in die Richtung die
mir gerade passt

das ist gut so denn
sonst wäre mir längst
schwindlig vor Glück

Trampel

Kennst du das Gefühl, von einem Elefanten überrannt zu werden?

Er sieht nichts, hört nichts, fühlt nicht, dass unter seinen Füßen etwas Weiches strampelt. Das Weiche, das bist du. Oder ein anderer. Egal. Er stampft dich in den Sand. Du erschrickst, vielleicht blitzt kurz ungläubiges Erstaunen in dir auf,  Entsetzen, sogar Wut. Danach fühlst du nur noch Ohnmacht. Dann gar nichts mehr.  

Oder, die andere Seite: DU BIST der Elefant.

Du erschrickst, als du das Quietschen zu deinen Füßen hörst. Du fühlst dich gestört, getroffen, es ekelt dich, du rastest aus vor Wut. Das Weiche unter deinen Füßen ist schuld. Natürlich, wer sonst? Wie kommt ES dazu, einfach so unter deine sensiblen Füße zu geraten? Rücksichtslos!
„Schau dich doch an!“, sagst du zum ES, „schau dich an, wie du aussiehst. Aus allen Nähten quillt es heraus, ein einziger Brei. Formlos, das bist du. Wie soll ich dich denn spüren? 

Du Trampel!“

Himmel, wo bleibt die Antwort?

Wandern ist Lust

mitten durch Morgentau
stundenlang über Stock und Stein
im Vorbeigehen ganz nebenbei
winzige Welten vom Wegrand aufsammeln
muffige Denkschubladen lüften
das Herz stillen und
Sonne tanken

die Erinnerung daheim
in einer Schneekugel gut verschließen
Flocken rieseln lassen und zusehen
wie das Zirpen der Grillen und
der Duft von frisch gemähtem Gras
auf einem weichen Sonnenstrahl
Schlitten fahren

Foto: Katrin Schäflein www.picturepilot.de

Windspiel

... meint etwas anderes, als das,
was der Wind gerade mit uns treibt.
Er spielt nicht. Er meint es ernst
mit den Blättern der Bäume
und mit unseren Haaren.

4D

fünf Sinne reichen mir nicht aus
um zu ergründen wie wunderbar du bist
all meine sieben Sinne brauche ich
dazu noch einen achten neunten
nicht zu vergessen meine Brille in 3D
und immer fehlt mir noch ein Letztes

den Schlüssel für die vierte Dimension
den hat nur DER DORT OBEN
der über allem steht in allem ist

so bleibst du ein Geheimnis
für mich für immer
ungelöst

Katzengesang

ich streich um die Brücke
von mir zu dir
ganz verstohlen
reib mich an ihr

ich spiel Himmel und Hölle
ist beides hier
nur ein Katzenbuckel 
von dir zu mir

Foto: Katrin Schäflein www.picturepilot.de

schlafraum

tonlos singende stille
schillernde hülle keimraum
für töne keimzeit für träume
haltlos schwingende räume
verwoben in uralten mustern
kreuzen sich pfade finden sich
träume

pole-position

die erde dreht sich
nicht immer
in die selbe richtung

ein schwindel kaum spürbar
ein lauschen ein winziges neigen
hierhin oder dorthin

abhängig von inneren gezeiten
ist mir das eine lieber als das andere
das andere lieber als das eine

am liebsten hänge ich
kopfunter wind in den kurzen haaren
die füße fest im pol verankert

pole-position der kleine prinz

zärtlichkeiten

ungeahnte zärtlichkeiten streifen
raschelnd durch die gräser
deiner tage zupfen flüsternd
an den saiten deines glücks

blumen die am boden lagen
heben horchend ihre köpfe

lächelnd ziehen weiße schafe übers
blaue feld des morgens überlassen
nachts das zelt schwarzen
hunden die dort jagen

vom Paddeln und Treiben

Flüsse fließen, was sollen sie auch anderes tun
zurück im großen braunen Fluss
treibe ich
treibe

träge folgen meine Augen denen
die sich querlegen im Strom
ich lächle flüchtig
und treibe

Wasser fließt, was sollte es auch anderes tun
wenn mich die Unrast überkommt paddle ich
gegen den Strom
wie ein großer schwarzer Hund
bis zur Erschöpfung
eine salziger Tropfen rinnt in den süßen Fluss
und ich lasse mich treiben
treibe
auf mich wartet das Meer

Foto: Katrin Schäflein www.picturepilot.de

wundersame vermeerung oder ...

es versiegt

es war eine sprudelnde quelle dann
immerhin ein bach dann
plötzlich nur ein rinnsal
es hätte ein fluss werden sollen
jede quelle wird zu einem fluss
[so hab ich mir gedacht]

es muss nur regnen

ich tanz den regentanz
wenn das nichts nützt dann
spucke ich ins rinnsal dann
bau ich einen damm dann
stau ich was das zeug hält dann
bricht er und es fließt

wär doch gelacht wenn ich
aus einem rinnsal nicht einen fluss
machen könnte
schließlich wartet das meer

Freitag, der 13.

Er kam von links

Unser Zusammenprall verlief glimpflich
Er schaukelte weiter
Erst überm Wasser geriet er ins Trudeln
Er torkelte und verschwand schillernd
In der braunen Brühe

Gestern war die Donau noch blau!

wolkenbilder

ich seh ihr zauberhaftes lächeln
verschleierte
schönheit im wolkenharem
verfolgt von schwarzen
fratzen böser geister steinigt sie
röhren die himmelsstürmer
der flieger vienna 15.20 zieht seine weiße bahn
fällt euch nichts besseres ein
denk ich ihr seid doch götter
sie hat euch nichts getan
jagt dort dem flieger nach
und lasst die schöne ziehn

Foto: mr

wien.randnotizen

hier wie dort
balancieren existenzen
an den rändern

die pracht der häuser lächelt und
die brücke hat ein geländer aber
ein augen blick fällt tief
in den braunen fluss

hier wie dort
ist es mühsam ohne heimat
das leben durch den tag zu tragen

unter den wolken ...

unter den wolken ist freiheit relativ
in den wolken verhedderst du dich und
über den wolken grenzenlos
fehlt dir die orientierung
ich weiß nicht wo es am besten ist
woher willst du es wissen?
unsre flügel tragen nicht weit genug
außerdem haben wir angst
vor dem absturz

der beste Freund

Gestern ist mir ein kunstsinniger Pudel begegnet.
Ein schwarzer Pudel mittlerer Größe, also größer als üblich. Wie eine Eins saß er hoch aufgerichtet im Publikum.
Der Gesichtsausdruck intelligent, aber auf eine gute Art.
Der Blick wach, ganz im Hier und Jetzt. 
Sein Herr dichtete auf der Bühne wortreich vor sich hin.
Als der Dichter nach vollbrachter Lesung auf seinen Platz zurückkehrte, traf ihn der Blick des Tieres: nachdenklich, unverwandt, ohne Bewunderung, aber voll Verständnis.
Der Blick eines besten Freundes, der dich nicht in Frage stellt, sondern dich fraglos akzeptiert.

augenblicklich

... hab ich den Ausblick satt
hab keinen Einblick
der Durchblick fehlt mir, und
der Rückblick lässt mich seufzen
bleibt mir nur
Dein Blick

kleine Fluchten

ich hab die Stunden verträumt
verträumt unter Bäumen
bin mit den Wolken ins Blaue gezogen
hab mir den toten Ast grün phantasiert
und faulende Früchte rot gelogen
bin mit dem Wind ans Meer
hab mir das Wasser ganz süß gedacht
im Sand mit den Zehen nach Schätzen gegraben
es mir auf den Wellen bequem gemacht
ich hab den Alltag versäumt
verträumt auf dem Meer unter Bäumen

Foto: Katrin Schäflein www.picturepilot.de

wer bin ich?

Du glaubst, du kennst mich. Sag mir!
Wer bin ich im Spiegel deiner Augen
Warum fall ich hinein in deine Brunnen
Verfange mich in deinen wirren Nestern
Wieso leg ich mir deine Schatten um?

Kennst du mich wirklich?
Du blickst durch meine Spiegel, rufst
Hinein in meinen Wald, fängst
Mühelos mein Echo, jagst
Meine Schatten hinaus aufs freie Feld

Wer bin ich? Lass sehn!
Du malst mit leichter Hand ein Bild von mir
Das mir nicht gleicht, ich kenne mich nicht wieder
Das bin nicht ich, es zeigt mir mehr von dir
Als es von mir verrät

Über die Farben des Alltags

Die Herausforderung hat einen Namen, sie heißt Alltag.
Alltag kann bunt oder eintönig sein. Stolpersteine, Kleinigkeiten und Zufälle färben den Tag. Augenblicke, Stimmungen, das menschlich Berührende nicht zu vergessen. Es hat viele Farben.
Und dann die Farben, die keine sind. 
Schwarz ist nicht eintönig, es ist nie nur schwarz. In seiner Tiefe spielen Farben mit Licht. Selbst Grau trägt in sich Farben. 
Weiß ist die Leere, in der ich mich spiegele, indem ich sie fülle. 

Es gelingt mir nicht immer die Farben zu sehen. Es gibt Tage, da ist Schwarz nur schwarz und Grau einfach grau. Die Steine sind leblos und die Sterne unerreichbar. Das Weiß bleibt leer.
Lockstoff

jedem
sein kleines Schwarzes
mit der Saugkraft eines Dirt Devil
jedem sein kleines schwarzes Monochrom
wer noch keins hat, malt sich eines
mein Lockstoff ist Rot
und deiner?


Foto: Katrin Schäflein www.picturepilot.de

Friedwald

Alte Bäume, von unten betrachtet
Sind einbeinige Riesen, ihr Fuß
Wurzelt tief in der Erde, ihr Haupt
Ragt in den Himmel, Himmelsleitern
Sind sie, kluge Vermittler
Zwischen uns und dem da oben
Friedwald
In ihrem Schatten ruhen
Die Erfinder von Agent Orange
Die Luftverpester, und auch
Die Betreiber der Kettensäge
Finden endlich Ruhe
Im Rauschen der Blätter

Flaute

die Gedanken hängen abgetörnt in den Seilen
die Seele baumelt am Mast, ein müder Putzlappen
das Lüftchen hat sich verzogen, keine Lust mehr
zum Spielen, fächelt matt vor sich hin
kräuselt winzige Wellen übern Spiegel
will allein sein, animieren soll ein anderer

Die Nacht

Die Nacht ist ein freundlicher Fluss
in dem Stern-Fische schwimmen
und Wolken wie Flöße gleiten
ein stilles Treiben
auf sanften Himmelskanälen

Die Nacht ist ein unruhiges Meer
in ihren Höhlen lauern scharfzähnige Muränen
auf der Jagd nach Stern-Fischen und Wolkenflößen
dünnhäutige Stille zerreißt
im Warnruf der Martinshörner

und links das Meer

Und links das Meer
Du zweifelst? es ist das Meer
Da, wo sonst der Wald ist, die Wiese
Da glitzert blau das Meer
Komm, lass uns fliegen

Und keiner wird uns glauben
Das Meer? das kann nicht sein
Da, mitten in der Landschaft
Da glitzert nicht das Meer
Komm, lass uns schweigen

Keiner muss wissen, dass wir
Zum Meer geflogen sind

Foto: Katrin Schäflein www.picturepilot.de

kleines voodoo

Willst du, dass ich dir ein kleines voodoo mache?
Nein, keine finstere, böse Verwünschung
Ich meine ein weißes, leichtes, luftiges
Ein verführerisches Zauberstückchen
Nur für dich
Willst du es, das kleine voodoo?

Radfahren

Rechts rauscht das Grün eines Gemüsebeets vorbei
Von links überholt die Dame mit den strammen Waden
Mojn, Mojn!
Hinten treibt der Mann im gelben Trikot
Mach hinne!
Von vorne pfeift der Wind voll ins Gesicht

Und das alles gleichzeitig!
Heul doch!

Herz-Polka

Ich-Vogel muss fliegen
Herz-Stein bleibt liegen

Herz-Stein tanzt übers Meer
marmorleicht federschwer
hüpft er umher

Ich-Vogel kommt zurück
kommt übers Meer













Foto: Katrin schäflein www.picturepilot.de

unerträglich leicht

Ich streife querfeldein, über trocken braunes Brachland mit gelblich dürren Gräsern, grauem Geröll, dazwischen, wie Schätze verborgen, die bunten Köpfchen seltener Blumen. Der Himmel trägt verwaschenes Blau.  Ich laufe, dem unbarmherzigen Licht der senkrecht stehenden Sonne schutzlos ausgeliefert, kein Schatten begleitet mich, kein Tropfen Schweiß rinnt über meine Stirn, kein Lüftchen spielt in meinen Haaren. Um mich herum nur das rastlos eintönige Surren unzähliger Insekten. Ich bewege mich voran ohne die Sehnsucht jemals anzukommen, ohne die Absicht irgendwann umzukehren. In mir nur die unerträgliche Leichtigkeit des Seins.  

Liebe ist ...

Reibung und Wohlklang

der Bordun, der die Melodie trägt
die Saite, die den Körper zum Klingen bringt
das straff gespannte Fell, das die Schläge auffängt und
in Rhythmus verwandelt
der Gong, dessen Schwingungen nachhallen in den weiten
Räumen des inneren Doms

für den Trommler in meinem Leben

Juniabend

vergänglicher Balkon Sommer  / einfach sitzen
vor dem Schattenriss der Dächerkulisse / im schwindenden Licht
das müde Sirren der Schwalben / am Firmament die Venus
strahlend hell / besoffen vor Liebe

Sommer

Sein flüchtiger Kuss bringt mich zum Schweben
die Zeit steht still, verharrt im endlosen Moment
hält Atem an, bewegte Ruhe zwischen sanften Ufern
gekräuselt nur von einem Hauch von Wind

Vorbei am Zauber gut verborgener Blüten und
an dem Duft von Lilien, Akeleien, rotem Mohn
gelb glänzend fetten Trollen, die am Ufer Wache halten
Vergissmeinnicht, die blau im Schatten ruhen

Ich pflücke sie in meinen Beutel voller Sommer
dazu noch Duft von frisch gemähtem Grün
und helles Sirren von den Schwalben, die da oben
am Himmel spielend ihre Schleifen ziehen

Familienaufstellung

Die Langeweile ist ein dürres, langes Elend
grau bis in die Zehenspitzen, Hornhaut
an den Sohlen vom ewigen Dahinschlurfen
Sie ist die kleine Schwester der Sinnlosigkeit
Die ist dick und schwarz wie die Nacht, rennt 
zuweilen heftig mit dem Kopf gegen die Wand und
prallt dort ab wie ein roter Gummiball
Ihr Vater ist ein gebeugter, staubiger Kohlenträger
und ihre Mutter eine ausgelaugte Weißwäscherin
Nur der Bruder, der hat was. Der ist ein
Leichtfuß, ein Färber, färbt einfach alles schön

trommelnd

Luxemburg 2009

trommelnd zogen wir den Waldhang entlang
verfolgt vom Röhren der Motorräder im Grund
versaßen den Rest des schwülen Nachmittags
auf einer Bank im Schatten, als eine Blaskapelle
im Tal blechern zu spielen begann
wir lauschten dem eintönigen Singsang eines Pfaffen
... gegrüßet seist du, Maria …
die Worte verloren sich zwischen den Stämmen
der uralten Tannen


















Foto: Katrin Schäflein  www.picturepilot.de

flashmob

die Sonne bringt es an den Tag / das Leben
das süße / bricht aus wie tausend Knospen, die 
alle /wie verabredet, zur gleichen Zeit 
aufspringen und / ihr Gesicht empor richten
zum lachend blauen Himmel / hast du nicht gesehn / da
kommt eine Wolke geritten, schon / ist der Spuk vorbei, und 
Blicke hüllen sich in Schleier / Köpfe sinken,  Schultern
fallen erdenschwer

Heimat

Heimat ruht in der Erde, dort / wo ich herkomme,
da / weiden friedlich die Schafe / wo ich hingehe,
ist mein Name in Stein gemeißelt

geschlossener kreislauf

ich will dich
du willst sie
sie will ihn
er will es
wir wollen euch
ihr wollt sie
sie wollen mich
und ich will immer noch dich

Bar

Bögen aus Licht überm Spiegel des Tresens
Flaschen mit feurigen Zaubertränken
dunkel leuchtende Stillleben alter Meister
die nur darauf warten verführen zu dürfen
zu leichtfüßigen Phantasien
aufblitzend am Grund des Glases
dort wo immer ein winziger Rest bleibt
der sich nicht schlürfen lässt


















Foto (Ausschnitt): Katrin Schäflein www. picturepilot.de

Feinstaub

du bist Feinstaub auf meinen Traumpfaden
Treibsand, der in meinen Mühlen knirscht
bringst meine Träume zum Niesen
verklebst die Poren meines zweiten Gesichts

schmieg dich wie Seide um meinen Fuß
umschmeichle meine Sohlen wie Samt
lass die Pfade unter meinen Schritten singen
auf meinen nächtlichen Wanderungen

im Blick

wir haben uns aus dem Blick verloren
zwischen uns ist ein Spiegel
ich bin auf der einen Seite, du auf der anderen
ich sehe nur mich, du siehst nur dich
du und ich, wir könnten einen Schritt zur Seite machen
einen Schritt nach rechts oder nach links
du könntest nach rechts gehen und ich nach links
oder umgekehrt
dann hätten wir uns wieder im Blick

noir

ein menschenleerer Platz
ich kippe vom Rad
stehe wieder auf

der selbe Ort, immer noch
die kalten Schatten des frühen Morgens
eingefrorene Zeit

ich kippe vom Rad
rapple mich wieder auf
klopfe mir den Staub aus den Kleidern

hinter mir trottet eine heilige Kuh vorbei
sie ist so entsetzlich mager
dass ihre Knochen unter der Haut
hervorstechen wie Speere

wir sind die einzigen Darsteller
Regie führt der da oben
sein unbestechlicher Blick
ruht nachdenklich auf unserem Schauspiel












Foto: Katrin Schäflein  www.picturepilot.de

vielleicht

es ist nicht die rechte Zeit
leider
du bist zu früh, nein
es ist schon zu spät, jedenfalls
es passt nicht
nicht jetzt, nicht hier, nicht so
komm wieder, irgendwann
dann ... vielleicht
vielleicht
dann

Traumhüllen

ein verlebtes Zündholzschächtelchen mit abgenutzter Reibfläche
die erste Schachtel Glimmstängel, Teer auf der Straße zur Freiheit
ein Blindbuch in nachtblauem Leinen mit goldenem Schloss
das finnische Holzkästchen, darin tausendundzwei Knöpfe
ein moosgrüner Schuhkarton für weinrote Schuhe
Johnny Depps Schatzkiste voll mit schillernden Filmkostümen
ein rostiger Überseecontainer unterm rauen Schrei der Möwen

fliehendes Pferd

Komm mir zu nah, und
ich bin ein fliehendes Pferd,
eine gurrende Wildtaube auf dem Dach,
ein blauer Schmetterling.

Fliehende Pferde soll man nicht aufhalten,
sie kommen von selbst zurück.
Die Taube wird zum Spatz in deiner Hand, und
die blauen Flügel des Schmetterlings verwandeln sich
in knisterndes Seidenpapier unter deiner Berührung.

banal

Es ist nicht alt, geht nicht am Stock und
hinkt nicht, hat keine Hakennase, keinen
Buckel, und es stinkt nicht.
Es ist nicht schwarz, nicht weiß,
tritt auf in jeder Form und Farbe.

Giftgrün blitzt es in meinen blauen
Augen, flammt wild orange
in deinem blonden Haar, trägt Feuerrot
auf seinen vollen Lippen, tönt
unsre Fingerspitzen aschengrau.

Das Böse, es ist ganz banal.

Fenster zum Hof II

Ort: Ostend, nicht Greenwich Village
Zeit: ein Frühlingsnachmittag
Kein Stoff für Filme, die wir gerne sehen.

Die alte Frau von gegenüber probt die Flucht.
Ihre weißen Haare leuchten im dunklen Hausflur.  Am ganzen Körper zitternd vor Anstrengung und Aufregung drückt sie die Tür mühsam einen Spalt auf, nimmt hastig trippelnd Anlauf, schießt hinaus in die kleine Freiheit, kommt schwankend zum Stehen, sucht Halt, tastet sich an der Hauswand entlang bis zur Ecke, klammert sich fest, schaut gierig die Straße hinauf und hinab.
Gier nach Leben. Es folgt der Rückzug in die einsame Hölle.














Foto:mr

reingefallen

Der Frühling ist ein falscher Fuffzger.
Er verspricht dir das Blaue vom Himmel,
lockt dich aufs Rad hinauf, schickt dir noch Rückenwind.
Und wenn du so richtig schön in Fahrt bist,
wirft er dir Steine in den Weg und lässt dich
aus heiterem Himmel unsanft auf die harte Erde prallen.

Trau nie einem Luftikus, einem Hallodri und Windhund!

Lazy Sunday Afternoon (Faces 1968)

Ich dreh die Mühlen meiner Kindheit,
lass im Ticken der Küchenuhr die eintönigen
Sonntagnachmittage auferstehen, weck mit dem Duft
frischen Kaffees den Kuckuck in seiner baufälligen Hütte.
Mühsam kommt sein eingerosteter Mechanismus
in Gang, schnarrend öffnet sich die Tür, er hinkt
heraus, ein alternder Star. Er ruft, er krächzt, er stottert …
Ich schick ihn heim, schalte das Radio an, hol mir
die Welle und lass mich mit den Hits der 80er berieseln.

Verdammt Lang Her (BAP 1981).

mein geheimer Garten

Komm herein, ruh dich aus, träumend 
hingestreckt ins hohe Gras, umflirrt vom Sonnenlicht,
umtanzt von Schmetterlingen und Libellen.
Eingebettet in den schweren Duft feuchten Grüns,
unterm dunklen Leuchten schwarzer Akeleien
murmelt sich Wasser den Weg durchs Moos.














 Jeannette Frei: Moosbett Nr. 2
 (Lustgartenausstellung im Herbst 08 in Mäder/A)
(c) Jeannette Frei    www.jeannettefrei.de 


frühling 5.5 

im verborgenen
verdeckt ermitteln verstohlen
sprießen rastlos wachsen quer treiben 
wild weiß knospen ausbrechen
rot sonnenwarmes
s e i n

Fenster zum Hof I

das Fenster zum Hof füllt sich mit Licht
blickt hinüber zum Fenster überm Hof
das lichtgefüllt den Tag längst begonnen hat
Schattengestalten vor blauen Monitoren
Nighthawks, Hacker, Streuner
gefangen im Netz, blind für den Morgen
der verloren ans Fenster pocht

Sieh da ...

die vier HÄUPTLINGE
ohne Kopfputz und Bemalung, nur geschmückt
mit flatternd bunten Schlipsen, übermütig
gegen alle Regeln zu Fuß unterwegs
mitten auf der Stadtautobahn
umtost von einer wild  hupenden Herde
heiliger Blechle

Kriegspfad? Frühling.

Sisyphos' Schwester

der Stein in meiner Brust ist ein treuer Begleiter
ich lasse ihn hüpfen wie einen Kiesel
er fällt mir als Wackerstein vom Herzen
ich bin Sisyphos' Schwester und
wälze die steinerne Last endlos bergan

ich gebe die Hoffnung nicht auf
dass er sich eines Tages verwandeln wird
ein unscheinbarer, grauer Vogel, der davonfliegt
Bote der Befreiung

Schattentanz


















die Gestalt deiner Schatten
ist kaum mehr zu fassen

sie zu fangen ist ein stiller Tanz
sie zu halten ein wortloses Ringen
sie zu befragen ein tonloses Singen
hier mitten im Frühling
nach so langer Zeit

Diese Zeilen sind für meine Mutter. Als sie starb,
war sie so alt, wie ich  jetzt bin.
Es war der 21. März, Frühlingsanfang. 

Foto: Katrin Schäflein www.picturepilot.de

sinnloses Verbrechen

Mein Versuch, es zu zerstören, ist fast gescheitert, obwohl es nichts Besonderes war, nur ein Papier. Papier zerreißt gewöhnlich ohne sich zu wehren. Doch dieses wehrte sich sehr heftig und schnitt mich in den Finger, bevor es aufgab und zerfiel. Ich konnte nichts mehr berühren ohne blutige Spuren zu hinterlassen, war als Täter überführt.
Das Opfer wehrte sich nicht ohne Grund, es war nicht unbeschrieben, auf ihm stand ein Text. Der geistert weiter durch mein Hirn, gibt keine Ruh, nimmt wieder Gestalt an, will aufs Papier.

Eiskalt













Der Winter nimmt sich seine Zeit.
Unser Murren kümmert ihn nicht.
Ungerührt deckt er die ersten grünen
Spitzen mit seiner weißen Decke wieder  zu.
Schlaft noch ein bisschen, lässt er die
Krähen verkünden. Und unsre
Frühlingsgefühle sind ihm egal.
Kinderkram, murmelt er nur und
haucht eiskalt übers Feld.

 Foto: Katrin Schäflein www.picturepilot.de

Über das Frösteln an fremden Orten

Zu Hause ist es einfach am schönsten, der Wind
fegt nicht ganz so erbarmungslos um die Ecken,
vor allem - die Ecken sind dir bekannt.
An fremden Orten kriecht das Unbehauste aus den Winkeln,
fährt mit seiner kalten Hand über deine bloßen Arme,
deren sonst seidenglatte Haut sich plötzlich in
Millionen winziger Buckel erhebt.
Ein eisiger Hauch, der dich spüren lässt:
Du bist hier fremd.

Herzstein














er liegt wie Blei im Nest der Hand
sie wiegt ihn, gibt der Schwere nach
der unsichtbaren Kraft, die
ihn zu Boden zieht
er fällt, er fängt sich, schwebt, ihm
wachsen Flügel, die graue Taube
mit dem weißen Ring erhebt sich
flatternd im Gegenlicht
verschwindet sie am Horizont

Foto: Katrin Schäflein www.picturepilot.de

Sturmschäden?

zuerst hat er die Atome
wild durcheinander gewirbelt,  dann
neue Verbindungen erschaffen
Netzwerke anders geknüpft und
die Moleküle bunt gemischt, endlich
aus dem Chaos wieder Muster
gebildet, fremdartig und schön

wer will behaupten, dass
der Sturm nur zerstören kann?

Die blaue Stunde

Da ist sie wieder, meine blaue Stunde!
Es ist diese eine magische Stunde am frühen Morgen,
in der die anderen noch schlafen,
nur die Vögel und ich, wir sind schon wach.

zeitloses Schweben in der Zeit

Draußen stiehlt sich der Tag über die Dächer,
drinnen bannt mich der blaue Lichtkreis des Monitors.
Die Vögel singen in den Frühling,
und ich gehe auf die Reise.

weiße Rosen

Ich lass dein Bild verblassen,
deine Schritte, deine Stimme, dein Lachen
verhallen.

Schade, dass du es zulässt
in meiner Erinnerung zu welken
wie ein Strauß müder weißer Rosen.














Foto:  Katrin Schäflein www.picturepilot.de

fernes Land

Raue Berge ruhen im vergehenden Licht,
kaum ein Hauch von Wolken
vor der blassen Sichel des Mondes.

Keine Menschenseele, weit und breit
nur das eintönige Singen
des Winds über kahlen Hängen.

In der Höhle warten die Steine
auf die Rückkehr des gelben Hundes.

 












Foto: Andrea Zaumseil (c) Andrea Zaumseil

Aschermittwoch-Spiel

erst vermasselt, dann vergeigt, endlich vollends verdorben
fromm Asche aufs Haupt und frisch fröhlich gebüßt
gleich drauf blindlings los in den nächsten Schlamassel

buntes Konfetti im Schnee erinnert an bessere Zeiten

kleine Liebe

Gäb es die Heinzelmännchen noch, dann
würde ich jetzt nicht
mit dem Absatz meines linken Stiefels
in einem Kaugummi kleben
und mit der Vordersohle meines rechten
in einem Hundehaufen stehen.
Pfui Teufel!
Sie hätten den Unrat längst beseitigt.
Und morgens fände ich immer frisch polierte
Schuhe im Regal, glänzend wie Spiegel.

In eins der scheuen Kerlchen war ich schon verliebt.
Er war kaum daumengroß, blieb immer zögernd stehen,
während die andern vor mir flohen.
Es war ein winziges Gefühl in meinem Herz,
genauso klein wie er, mehr Dankbarkeit als Liebe,
wunderschön.

Dann waren sie plötzlich alle fort, keiner
ward mehr gesehen, die Schuhe
blieben blinde Spiegel, ungeputzt.

So ist es wohl, wenn man erwachsen wird.

Tod einer Nervensäge

Er hat es uns wirklich nicht leicht gemacht.

Ein Säufer und eine Nervensäge, das war er.
Immer mit einer Kippe im Mundwinkel,
hat er Kinder und Ausländer übel beschimpft,
uns bei jeder Gelegenheit das Ohr auf den Boden geschwätzt,
ständig wegen nichts und wieder nichts Polizeialarm ausgelöst und alle mit seinem Lärm gefoltert.
Manchmal hörten wir ihn wiehern vor Lachen.

Jetzt ist er tot. Und nun?
Langeweile hoch drei im Karree des Hinterhofs.

Foto: Katrin Schäflein www.picturepilot.de

stein(chen)zeit

die Stadt liegt stiller als gewohnt
die Autos atmen nur gedämpft
du trittst vors Haus und sinkst hinein
machst einen Abdruck in das sanfte Weiß
sulzige Pfützen sind wie breite Seen
unüberwindbar fast, es hilft dir nichts
du musst hindurch auf spitzen Zehen

Matsch spritzt nach allen Seiten
winzige Steine knirschen unterm Schritt
verfolgen dich als ungebetne Gäste in dein Reich
kullern, gestrandet, über das Parkett
Kiesel, gefallen aus dem Lauf der Zeit
das schwarze Leder deiner Stiefel
trägt jetzt Weiß als Kleid

Wintertraum

der Schnee
weiß weite Wüste
der Schnee

das Eis
hell klirrend fein
das Eis

der Wind
scharf  beißend kalt
der Wind

die Krähen
schwarze Kleckse
auf dem Weiß

und über allem
Sonne

Nachruf













Warum liegst du so still?
Kannst du die Augen nicht mehr öffnen?
Ist deine Zeit vorbei?

So viele  Bilder ziehn mir durch den Kopf.

Dein schwarzes Fahrrad, viel zu groß für mich.
Abendgebete unterm Engelsbild.
Du und dein Moped auf dem Weg ins Holz.
Dein Purzelbaum am Friedhofshang.
Und immer wieder stehst du auf!

Wenn ich laut lache, hör ich dich, und
wenn ich singe, singst du mit,
wenn meine Augen tränen, sind es deine.

Du bist die Letzte, die nun geht,
ein Stück Geschichte geht mit dir.

Lass hinter dir die Türen offen sein!

Foto: Katrin Schäflein www.picturepilot.de

Abendgebet











steiniger Strand
fahles Licht und
lauernde Schwärze

tintiges Wasser umspült
zähe Schlieren ziehend
ölig fetzend
die Krallen der Möwe

an den Felsen
wetzt sie ihren Schrei

Foto: Katrin Schäflein www.picturepilot.de

.

nicht ohne dich
ohne dich
kaum

.

Rauchzeichen

plötzlich
empfange ich Rauchzeichen
von meinem Vater

sie kriechen, physikalisch nicht erklärbar
durch die Leitung
während ich telefoniere

der Mann neben mir
auf dem Balkon des Theaters
sendet sie in Wellen an mich aus

mitten im Trubel der Fußgängerzone
rufen sie Erinnerungen
an die Kindheit wach

vertrauter Duft
wie das Wiedersehen
mit einem alten Freund nach langer Zeit

Ordnungshüter

morgens um 7 in der U-Bahn
ist die Welt noch in Ordnung

zwei Streifenhörnchen
im Einsatz an der Frühaufsteher-Front
ein Männchen und ein Weibchen
ein Pärchen?

Verliebtheit in den müden Augen und
Sehnsucht auf den Lippen

aber – nicht hier, nicht jetzt!
Ordnung muss sein

Schneeverwehungen













fein, fein beinander bleiben
auch wenn's stürmt oder schneit
es schneit schon seit Tagen
der Sturm ist nicht weit

Foto: Katrin Schäflein www.picturepilot.de

110













Es ist nicht ratsam,
in momentaner Verwirrung,
aus einer Verzweiflung heraus,
gar aus Einsamkeit
den Notruf zu wählen.

Es kommen:
die Feuerwehr,
der Notarzt,
die Polizei und
die Einsatzleitung.

Mindestens vier Autos stehen
plötzlich kreuz und quer
vor deinem Haus.

Ein voller Erfolg!
Was das wieder kostet!

Von den Nachbarn,
die aus ihren Fenstern schauen,
ganz zu schweigen.

Was die wieder reden!

Lieber still halten und abwarten,
bis ES von selbst
vorbei geht.
Oder,
den Qualm deiner Verzweiflung
mit einem Kissen ersticken.

Foto: Katrin Schäflein www.picturepilot.de

Hobelspäne (2)

Alle schreiben mit: das Mädchen mit den wippenden Zöpfen, die Jugendliche mit der wilden Mähne, die junge Frau und die, die ich jetzt bin. Alle Versionen der Schreiberin sind vertreten, und jede will zu ihrem Recht kommen. Mal fragt das Kind, mal rebelliert die Pubertierende, und die Ewig-Junge träumt in ihren x-ten Frühling. Oder die Alte humpelt sinnierend übers Blatt. Und um das Ganze noch zu toppen: Es gibt von jeder Version eine Ausführung in Schwarz-Weiß und eine in Farbe.
Im besten Fall mischen sich alle. Sonst heißt es: Wer sich am lautesten meldet, der kommt dran. Keine Spur von Demokratie!

Herzflimmern













ich glaubte, es verschenkt zu haben – mein Herz
ich sehe nach, es ist noch da
nehm es in beide Hände

ein Muskel, zuckend rot
pulsierend voller Leben

Materie mit Gefühlen, für
Überraschung immer gut

nichts hängt, nichts stottert
alle Rädchen schnurren

mein ganzes Dasein pocht
in meinen Händen

Herzflimmern -  ein so schönes Wort -
und steht doch für den Tod

Foto: Katrin Schäflein www.picturepilot.de

Hobelspäne (1)

Es gibt Texte, an denen hängt mein Herz bereits, während sie noch in meinem Kopf entstehen. Sie zu löschen käme einem heimtückischen Mord gleich. Ich kann nicht von ihnen lassen. Schlimm, wenn sie nicht recht gelingen wollen.
Andere sind weniger gefühlsbeladen und drängen trotzdem ins Laptop hinein. Sie werden immer wieder aufgerufen, geprüft wie mittelmäßige Schüler, werden hin und her gewendet,  umformuliert, stehen über Tage und Wochen ständig zum Appell bereit, bis ich sie endlich akzeptieren kann.

Dann gibt es noch die Kuckuckseier.  Mit Ach und Krach ausgebrütet dümpeln ihre jämmerlichen Gestalten unbeachtet auf dem Grund des Archivs bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag.

Ritterspiel














Er fährt vor. Kommt sehr abrupt zum Stehen.
Lässt Kieselsteinchen hüpfen
auf deine roten Schuhe.

Die Augen treffen sich.
Er ist dein Ritter. Kann sein Pferd kaum zügeln.
Du bist seine Dame.

Du steigst ein
für diesen Augenblick.

Ihr fahrt los. Das Spiel
ist längst Vergangenheit.

Foto: Katrin Schäflein www.picturepilot.de

brandneu

jeder Tag ist brandneu
beginnt auf einem leeren, weißen Blatt
in der Ecke, oben links
anfangs zaghaft, dann kräftiger
zeigt er Umrisse, füllt sie
im Lauf der Stunden mit seinen Eigenheiten
bis sich ein Bild formt
zuerst nur in Schwarz-Weiß
die Farben kommen später
wie mit einem Pinsel satt gestrichen
oder leicht getupft

jeder Tag sein eigenes Bild
an manchen Stellen
ein kleiner Riss, ein Fleck
ein Knick, ein Eselsohr
Spuren des Gebrauchs
nichts Vollkommenes
das wär zu schön
kaum zu ertragen

es gibt Tage, die bleiben stecken
im Entwurf, eine rohe Skizze,
die doch alle Möglichkeiten
ahnen lässt