Fenster zum Hof I

das Fenster zum Hof füllt sich mit Licht
blickt hinüber zum Fenster überm Hof
das lichtgefüllt den Tag längst begonnen hat
Schattengestalten vor blauen Monitoren
Nighthawks, Hacker, Streuner
gefangen im Netz, blind für den Morgen
der verloren ans Fenster pocht

Sieh da ...

die vier HÄUPTLINGE
ohne Kopfputz und Bemalung, nur geschmückt
mit flatternd bunten Schlipsen, übermütig
gegen alle Regeln zu Fuß unterwegs
mitten auf der Stadtautobahn
umtost von einer wild  hupenden Herde
heiliger Blechle

Kriegspfad? Frühling.

Sisyphos' Schwester

der Stein in meiner Brust ist ein treuer Begleiter
ich lasse ihn hüpfen wie einen Kiesel
er fällt mir als Wackerstein vom Herzen
ich bin Sisyphos' Schwester und
wälze die steinerne Last endlos bergan

ich gebe die Hoffnung nicht auf
dass er sich eines Tages verwandeln wird
ein unscheinbarer, grauer Vogel, der davonfliegt
Bote der Befreiung

Schattentanz


















die Gestalt deiner Schatten
ist kaum mehr zu fassen

sie zu fangen ist ein stiller Tanz
sie zu halten ein wortloses Ringen
sie zu befragen ein tonloses Singen
hier mitten im Frühling
nach so langer Zeit

Diese Zeilen sind für meine Mutter. Als sie starb,
war sie so alt, wie ich  jetzt bin.
Es war der 21. März, Frühlingsanfang. 

Foto: Katrin Schäflein www.picturepilot.de

sinnloses Verbrechen

Mein Versuch, es zu zerstören, ist fast gescheitert, obwohl es nichts Besonderes war, nur ein Papier. Papier zerreißt gewöhnlich ohne sich zu wehren. Doch dieses wehrte sich sehr heftig und schnitt mich in den Finger, bevor es aufgab und zerfiel. Ich konnte nichts mehr berühren ohne blutige Spuren zu hinterlassen, war als Täter überführt.
Das Opfer wehrte sich nicht ohne Grund, es war nicht unbeschrieben, auf ihm stand ein Text. Der geistert weiter durch mein Hirn, gibt keine Ruh, nimmt wieder Gestalt an, will aufs Papier.

Eiskalt













Der Winter nimmt sich seine Zeit.
Unser Murren kümmert ihn nicht.
Ungerührt deckt er die ersten grünen
Spitzen mit seiner weißen Decke wieder  zu.
Schlaft noch ein bisschen, lässt er die
Krähen verkünden. Und unsre
Frühlingsgefühle sind ihm egal.
Kinderkram, murmelt er nur und
haucht eiskalt übers Feld.

 Foto: Katrin Schäflein www.picturepilot.de

Über das Frösteln an fremden Orten

Zu Hause ist es einfach am schönsten, der Wind
fegt nicht ganz so erbarmungslos um die Ecken,
vor allem - die Ecken sind dir bekannt.
An fremden Orten kriecht das Unbehauste aus den Winkeln,
fährt mit seiner kalten Hand über deine bloßen Arme,
deren sonst seidenglatte Haut sich plötzlich in
Millionen winziger Buckel erhebt.
Ein eisiger Hauch, der dich spüren lässt:
Du bist hier fremd.

Herzstein














er liegt wie Blei im Nest der Hand
sie wiegt ihn, gibt der Schwere nach
der unsichtbaren Kraft, die
ihn zu Boden zieht
er fällt, er fängt sich, schwebt, ihm
wachsen Flügel, die graue Taube
mit dem weißen Ring erhebt sich
flatternd im Gegenlicht
verschwindet sie am Horizont

Foto: Katrin Schäflein www.picturepilot.de

Sturmschäden?

zuerst hat er die Atome
wild durcheinander gewirbelt,  dann
neue Verbindungen erschaffen
Netzwerke anders geknüpft und
die Moleküle bunt gemischt, endlich
aus dem Chaos wieder Muster
gebildet, fremdartig und schön

wer will behaupten, dass
der Sturm nur zerstören kann?