Worte sammeln / sich in Worten
sammeln /  im Sammeln
von Worten / dich und mich
suchen / uns versuchen / in Worte
kleiden / du und ich / verkleidet
in Worten / WIR
Wortlos
nackt

Die Reise

Schreib einfach. Schreib Worte ohne Ziel. Gib schwarze Zeichen ein und warte ab, wohin die Reise geht.

Ein Reisender wirft euch in den Kofferraum. Möglich, dass er mit seinem alten Volvo nur bis Straßburg kommt statt nach Paris. Was kümmert es dich. Ist es nicht gleich und egal, ob Worte nach Straßburg oder nach Paris führen? Beides schöne Städte, beide dir lieb. In beiden warst du lange nicht mehr. Soll doch der Reisende in Straßburg stranden, mit euch als Nachtlektüre.

Wundersam. Dieser Blick auf den in der Tiefsee der Nacht  licht schwebenden Bahnhof von Straßburg. Alle Schwere fällt von euch ab. Ihr seid beschwipst.

Der nächste Morgen verwischt jeglichen Zauber. Der Reisende, deine Worte und du - ihr drei - übernächtigt auf dem zugigen Bahnsteig.  Als Vierter im Bund euer Kater, gefährlich am Rand balancierend. Der TGV tost ein, reißt euren Weltschmerz um und greift euch auf. Ab nach Paris. Da wolltest du doch hin!
In Paris lasst ihr eure Seufzer die Seine hinab segeln, ihr spult den Film weiter und sehnt hinwärts nach London, in Zukunftstunneln reisend, die ganze Last der Meere schon auf euren Schultern spürend.  Angst mischt sich leicht ins schwere Gepäck.

Schreib einfach. Ist doch unwichtig, ob deine Worte wissen, wie und wo sie landen. Hauptsache unterwegs. 


Was denkst du

Dass ich eine Spielerin bin?
Das Feuer kennt mich, das Feuer brennt mich.
Dass mein Schein trügt?
Die Nacht ist das Bett der Sterne.
Dass ich nichts mit mir anzufangen weiß?
Dabei ende ich immer bei mir allein.
Dass ich meine Ziele auf dem Weg verliere?
Die Tauben picken sie auf.
Dass ich nicht erwachsen bin?

Das Kind in mir zu nähren
Ist mein Weg

Vier Weibs-Bilder I

Die Frau auf dem Fahrrad hat die Kapuze des schwarzen Mantels weit ins Gesicht gezogen. Eine Zigarette im rechten Mundwinkel, das Handy in der linken Hand, lenkt sie mitten durch die Pfützen. Vor der roten Ampel klickt ihr Feuerzeug, und sie raucht an. Es regnet junge Hunde.

.

Zwei Frauen im Bus. Das Gesicht der Älteren voll Mitgefühl, das Gesicht der Jüngeren von Leid gezeichnet, ihre Haltung niedergeschlagen, der Blick so dunkel, so offen, so wund. Du fühlst ihren Schmerz in dir wüten. Du trägst ihn eine Station weit mit.

.

Die Frau in der ersten Reihe. Sie setzt sich in Pose, reckt ihr Kinn. Ihre Augen weiten sich. Sie holt mit Blicken und Worten zum Angriff  aus, verschießt ihre Pfeile und scharrt dabei unruhig mit gefährlich spitzen, schwarzen Hufen.

.

Morgens am Küchenfenster. Ein Scherenschnitt - ihr Profil im Gegenlicht, die typische Handhaltung einer Raucherin. Sie steigt ein in den Tag. Die Kinder schlafen.

Irgendwie

Irgendwie ist
ein haltlos verträumtes,
ein leicht hilfloses Wort.
Es trägt eine Brille ohne Rand.
Man kann es mögen
oder meiden.

Irgendwie hat
viele Geschwister:
Irgendwann, irgendwo,
irgendwer, irgendwohin.
Alle sind Optimisten -
ohne klares Ziel. 

Irgendwie ist mir
davon das Liebste.
Es will beschreiben,
lässt doch offen,
legt nicht fest,
engt nicht ein.

Irgendwie provoziert
die Frage:
Wie denn genau?
und bringt den Gefragten
in Verlegenheit.
Er hat schließlich

Irgendwie gesagt,
um sich nicht fest zu legen,
weil ihm die Worte fehlten,
auch aus Trägheit. Oder -
er wusste nicht
das Wie.

Irgendwie ist
freie Bahn für Phantasie,
abwegige Gedanken erwünscht,
Irrwege nicht ausgeschlossen
und doch ankommen.
Irgendwie.

Wagenhallen

Foto: www.jo-dethlefs
Rückschritt -
Kieselsteine knirschen
unter den Sohlen

Rotlicht -
hinter Glas tonlos schiebend
Tangopaarung

Aufbruch  -
aus den Ritzen quillt
frisches Grün

Heimweg -
ein Lächeln
begleitet dich
durchs Dunkel

http://wagenhallen.com/

Anfangs

Wenn du ihn triffst, dann ist da diese Spannung. Du stehst unter Strom, die ganze Zeit, die ihr zusammen verbringt. Es ist, als wolltest du deine Pferde daran hindern zu fliehen. Du weißt nicht, was du von ihm willst. Ob du überhaupt etwas von ihm willst. Du spürst nur den Strom durch deine Adern fließen. Die Zeit verfliegt rasend schnell. Und abends im Bett laufen deine Füße weiter, als ob es noch ein Ziel zu erreichen gälte, das Lager für die Nachtruhe noch nicht gefunden sei. Dabei liegst du längst auf deiner Matratze im Halbschlaf. Später, im Traum, schließt du das Gatter und wünschst deinen Pferden eine gute Nacht. Ihr unruhiges Scharren verfolgt dich bis ins Morgengrauen. Du erwachst mit dem Gedanken, dass du keine Pferde besitzt, ja, dass du Angst vor Pferden hast. Weil sie dir viel zu groß sind. Weil du weißt, dass du ihrer Kraft nie gewachsen wärst.

Stoßgebet

Wenn ich gläubig wäre – vielleicht bin ich es und kann es nur nicht glauben –
dann würde ich folgende Worte an ES richten :

DU

Schenk mir Einfachheit
Zwei ungeteerte Wege genügen
Den dritten lass verwildern

Schenk mir die Einsicht
Auch durch dunkle Augengläser
Meinen Weg zu erkennen

Schenk mir Weitsicht
Die eine Blume nicht übersieht
Während sie den Berg betrachtet

Schenk mir ein Lächeln in den Augen
Für den Wanderer, der mir
Begegnet

Schenk mir ein Ziel
Das ich erreichen kann
Ohne mich unterwegs zu verlieren

The summer without men

In der S-Bahn:

Frau Gegenüber liest in „The Summer Without Men“ von Siri Hustvedt. Ich werde mir dieses Buch besorgen. Der Titel reizt mich. Obwohl - einen Sommer ohne Die Anderen kann ich mir kaum vorstellen.
In welcher Jahreszeit könnte ich eher auf Männer verzichten? Im Sommer, oder im Winter? Was ist mit dem Herbst? Und jetzt, im Frühling? Nein, keinesfalls im Frühling.
Frau Gegenüber hat braune Augen, liest ohne Brille. Klappt das Buch zu, hat plötzlich eine Brille auf der Nase, schaut aus dem Fenster. Eine lange Haarsträhne verdeckt ihr rechtes Brillenglas. Sie schaut mit Links. Ich muss mich beherrschen, auf meiner Zunge liegt die Frage: „Stört Sie das Haar nicht?“
Mich stört es. Ich bin kurz davor, mir eine nicht vorhandene Haarsträhne aus dem Gesicht zu streichen. Es juckt mich in den Fingern. Ich bin kurz davor, ihr die störenden Haare von der Brille zu schieben. Ich warte auf ein Lüftchen, das Klarheit schafft. Auf einen Mann, der ihr zärtlich die Brille abnimmt und sie sanft auf die braunen Augen küsst. 
An der dritten Haltestelle, nach einer gefühlten halben Ewigkeit, endlich, streicht sie sich das Haar selbst aus dem Gesicht. In mir löst sich ein unhörbarer Seufzer. Freie Sicht. Mein Blick wandert aus, ich betrachte die vorüberfliegenden Häuser, dann die Wiesen, die Felder. Die Sonne blendet mich. Ich kneife die Augen zusammen. Ich wünsche mir eine Sonnenbrille, einen Vorhang, nein, eine Haarsträhne, die das Licht filtert, das Grelle mildert.

„Entschuldigen Sie, würden Sie mir wohl Ihre Haarsträhne kurz leihen?“

Und ich nehme ihre Strähne und ziehe sie wie einen Vorhang vor mein linkes Auge, das der Sonne zugewandt ist.

the rose

.

a rose
on my way
was a rose in my way
broken
but smelling
rosy
.

erwachen

und
vor dem tag
noch vor dem tag
gurrt eine taube
tastet ein lichtstrahl
lächelt ein frieden
wir noch gewiegt
noch gewiegt
gewiegt
vor dem tag


foto: www.picturepilot.de

Lilien

Weißt du

Dass Lilien wenn sie
Ganz klein noch
Aus der Erde ragen
Wasserköpfe tragen?
Erst erwachsen
Sind sie stolz
Und schön

fallen Angel

erste U-Bahn-Fahrt
nach dem Sturz auf die Erde

rasch den Heiligenschein
aufpoliert das Lächeln und die Locken

und gleich der erste Heiratsantrag
von einem betrunken Lallenden

sollte ihn wohl retten!

um Bedenkzeit gebeten ...

prompt ein Angebot über
hunderttausend Euro

den luftigen Schatz sorgsam
abgewogen gegen die Erdenqualen

nach reiflicher Überlegung
Höllenqualen vorgezogen
das Angebot engelsgleich abgelehnt
den Heiligenschein zusammengefaltet
und an der nächsten Haltestelle
mit wehenden Flügeln
den Wagen verlassen

nach dem Regen

später
die Ampel schrillt
von Grün auf Rot
umkreischen Autos
unsre Insel
in die Pfützen geworfenes
Licht spritzt hoch

heiser verkündet Martins Horn
das Unglück der anderen

Du und Ich unser Leben
schwänzend
in der Mitte noch
die Spitzen der Schuhe schon
heimwärts gerichtet
ein letzter
gieriger Lungenzug

das Interview

Wie würdest du gern deinen Tag verbringen?
Ich würde mich gern verlieren auf Straßen, auf Plätzen, in Parks, auf Feldern. Ich ließe mich treiben, nähme überall dort Platz, wo es mir gefiele. Bliebe, bis die innere Uhr mich weiter führte.

Wie wichtig wären dir andere Menschen an diesem Tag?
Sie zögen an mir vorbei, wären wie die Wolken am Himmel, naturgegeben, immer in Bewegung um mich herum, nicht besonders wichtig. Bis, ja bis …

Bis was passierte?
Bis ich Schönaberselten begegnen würde.

Was wäre das Besondere an dieser Begegnung?
Die Palette seines Gesichts trüge genau im Moment unsrer Begegnung die richtige Mischung aus Wehmut über die Vergänglichkeit und Freude am Sein. Es könnte eine ganz einfache, aber trotzdem kluge Mischung sein. Blau und Rot zusammen schließe ich nicht ganz aus. Der Ton der Farben sollte stimmen. Sie sollten einen guten Einklang ergeben.

Wie würdest du dich diesem Menschen gegenüber verhalten?
Meine Augen würden immer wieder zu ihm hin streunen, kurz auf ihm verweilen, zögernd, solange, bis er mein Zögern bemerkte. Schaute er mich dann fragend an, begänne ich ein kleines Gespräch. Irgendein kleines, unscheinbares Gespräch. Wir kämen ohne Mühe auf sein Leben, seine Träume, seine Wünsche. Ich hätte meine Kamera dabei. Er würde mir erlauben zu fotografieren. Das wäre meine Beute.

Wie alt wäre Schönaberselten?
Nicht mehr ganz jung, eher älter, vielleicht im Übergang zwischen zwei Lebensstufen. Ich spreche von Er, es könnte auch eine Sie sein. Ich spreche vom Menschen.

Wie oft würdest du auf Schönaberselten treffen?
Ein einziger Schönaberselten pro Tag, und ich wäre glücklich. Zwei wären schon ein Traum. Mehr – ich weiß nicht! Mehr würde ich gar nicht verkraften.

Wie würdet ihr euch schließlich verabschieden?
Das kann ich nicht sagen. Das käme auf die jeweilige Begegnung an.

Triffst du manchmal wirklich auf Schönaberselten?
Ja, nicht oft, aber es kommt vor.

Wie verhältst du dich dann?
Meine Augen streunen immer wieder zu ihm hin, verweilen, zögernd, wollen sich nicht trennen.