die Reise

Blick zurück -
in der alten Stadtmauer
das verriegelte Tor

Unterwegs -
die Augen folgen dem Tanz
der Schmetterlinge

Angekommen -
der Wind föhnt das Haar
neu in Form

Identità - der Speicher

die schwarzen Tulpen
einer Kindheit
gestrandet
unter morschen Dielen
darüber Himmel
erdabstoßend
Zeitkreise trippelnd
Taubenfüße
an frostiger Erinnerung
hauch zarte Eiskristalle
lila Lavendel und
lichtscheuer Motten Fühler
samten schoßwarm
wie deine Katze
spinnwebverhangne Schwerkraft
der schwarz-weißen Bilder
auf  blassem Celluloid
lautloses Spulen

Tarantella di Sannicandro

Gretel und Hänsel

Halt mich!
Er läuft verwirrt durch den Flur, als ich heimkomme.

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mein Tätowierer

ist verliebt
in mich ganz vorsichtig
ritzt er
die feinsten Träume
in mein Hirn
auf meine Brust
sticht er mir
filigrane Blüten
um meine Fesseln
schlingt er
sein geflochtnes Band

Sie über sich I

Gärtnerin
der schwarzen Tulpen
und des Vergissmeinnicht

Knüpferin
von Herzsynapsen
Traumnetzen
und Sonnengeflechten

morgens
die Sonne im Rücken
das Gesicht zur Sonne
am Abend

den Saum der Wolken
prüfend immer
mit Aussicht auf dich

Totgeburt

ich hatte geschrieben
der Text war fertig
eben wollte ich ihn loslassen
auf die Welt bringen
da klingelte es an meiner Tür
jemand kam / etwas passierte
mein Weltbild bekam einen Sprung
und der Text passte nicht mehr
in mein Leben / war gestorben
bevor er das Licht der Welt
erblickt hatte
 .

Einklang -
Klanghölzer raufen sich
zusammen

.

Familien-Anamnese

Woran die Alten gestorben sind? Keine Ahnung, weiß ich nicht. Sie wurden einfach  älter und starben irgendwann. Der Holzfäller wurde gut über achtzig. Kann sein, dass er ganz zum Schluss bettlägerig war. Ich weiß nur noch, dass er in den letzten Jahren viel schlief. Er, der Sozi, nickte immer über der Bildzeitung ein, die Zigarre rollte aus seinem Mundwinkel, die Asche trollte aufs Papier.

Heimat

Wenn ich über Heimat schreibe, dann ist das ein kleiner Friedhof in praller Sonne, in nieselndem Regen, ungeschützt mitten am Hang mit Blick übers Tal. Der Bachlauf im Tal ist nicht besonders breit, nicht besonders wild. Es ist nur ein sanftes Wiesental am Rand von irgendwo. Die Wege sind rotsandig, die Obstbäume am Rain sind alt und knorrig und mit grünen Flechten überzogen, und die Straße, die sich durchs Tal zieht, ist eine einfache Landstraße. Das Dorf liegt da im vollen Licht, seine Geheimnisse aber bleiben bedeckt. Die Bewohner sind dir fremd geworden. Die Augen der Alten erinnern. Sie erinnern die Kühe, die Pferde, die Ziegen, die Gänse. Sie erinnern den Schmied, den Krämer, den Lehrer, den Bürgermeister und den Pfarrer. Die gibt es alle nicht mehr. Der letzte Bauer ist fort. Zum Schluss verschwand auch das Brot mitsamt dem Bäcker. Nur an einer Stelle, da liegt immer noch der Hund und bewacht die Straße. Es ist ein anderer Hund.

Das Dorf hat sich leicht geschminkt. Die alten Häuser sind farbiger geworden, es gibt neue Häuser, die Hänge hoch geklettert wie Efeu an der Mauer. Hinter den Häusern beginnt der Wald. Und hört so schnell nicht mehr auf. Er saugt dich ein und spuckt dich wieder aus, auf eine Lichtung, eine Wiese, in einen verschlafenen Weiler. Über dir kreist schweigend der Rote Milan. Der Specht zimmert ein Dach in die Stille.

Du steigst vom Friedhof weiter die Kuppe hinauf. Kannst nicht mehr aufhören zu laufen, kannst nicht mehr aufhören zu lächeln bis du ganz oben stehst. Wie feines Tuch breitet sich dein Lächeln über die Täler und Hügel.

Heimat 

wer hat Angst

nichts Einfaches
in Sicht

nur elektrisches Knistern
nicht deutbar
Geheimsprache der Geister
die sich auskichern
            [über uns?]
im Unbegreiflichen

ein Grollen?

eindeutig wäre
ein Blitzschlag aus heiterem
Himmel der
alles in anderem Licht
zeigt neu nur
einen Lidschlag kurz
glasklar

April

hell taumelnde Blüten
Halt suchend
auf Beton

und dann der Regen
was er schon lange sagen wollte
verstohlen plätschernd
schwemmt sie fort
ganz einfach
hinunter zu den übrigen
im Rinnstein
wen schert es?

der Kirschbaum
neureich
verschleudert's weiter
mit vollen Zweigen

Angstvertreib

oder
mögliche Wege eine Angst loszuwerden
.
sie in einem Schirmständer einfach vergessen
ein ehrlicher Finder wird sie dir nachtragen
.
ihr keine Nahrung mehr geben
sie wird dich auffressen
.
sie aus dem fahrenden Zug stoßen
sie wird aus der schönen Ferne grüßen lassen
.
sie so stark ans Herz drücken, dass sie erstickt
ihr Röcheln wird dich bis in die Träume verfolgen
.
auf sie pfeifen
sie wird dir nachschleichen wie ein ergebener Hund
.
sie mit Wein betäuben zur Nacht
morgens wird sie mit Kaffee vor deinem Bett stehen
.
sie hübsch verpackt deinem besten Feind schenken
beim nächsten Fest wird sie auf deinem Gabentisch liegen
.
dich mit ihr anfreunden
sie ist schon deine treueste Freundin - du weißt es nur noch nicht
gib ihr endlich einen Namen

das Spiel

unsre Weise
hält mich gefangen
bis es vorbei ist

verklungen unser Spiel
beendet unser Tanz
verblasst unsre Farben

dann singt Stille
und ich taste
blind
nach meiner alten
Melodie

Marco Beasley e L'Arpeggiata "La Carpinese"