besenrein

Tür auf – da sind sie. Huschen unterm Schrank hervor, rollen und wallen in die Küche, wallfahrten ins Wohnzimmer.  Wölkchen, die auf dem Boden wallen, Flusentiere, Wollmäuse.

Der Besen schwingt. Flinkfüßig flüchten, tanzen, hasten sie, zurück in die Ecken, unter den Schrank, unters Bett. Dort ist sackdunkel ihr Nest. Aber dann, dann …  hängen sie doch fest in bösen Besenborsten, vollkommen am Boden zerstört.

Der Besen klammert. Grausam spitzfindige Menschenfinger zupfen, reißen, raufen.
Hinein in den schwäbischen Kuttereimer mit ihnen.

Besenrein, so nennt man das.

Ab ins neue Jahr!

die gemeine Wollmaus


der Engelsflügel

die Liebesbriefe der Eltern
hat das Kind nie gelesen

es muss sie gegeben haben
diese Briefe
im Krieg und danach
wurden sie sicher geschrieben
fein säuberlich mit der Hand
manchmal ein Tintenklecks
selten etwas durchgestrichen
sie wurden sicher geschrieben
gefaltet in einen Umschlag gesteckt
frankiert losgeschickt
auf unsicheren Wegen
eine fragile Brücke
zwischen zwei die getrennt waren
gegen ihren Willen
bis endlich die Weltlage
sie wieder zusammen brachte

manchmal später
streifte ein Engel vorüber
sein Flügel streifte flüchtig das Kind
eine Ahnung dieser frühen Liebe
die existiert hatte
mitten im Krieg
trotz des Krieges
vielleicht sogar
gerade weil Krieg war
damit man heil blieb
damit es einen Halt gab eine Hoffnung
einen Trost eine Zukunft
mitten im Chaos

manchmal streifte
ein Flügel das Kind


Stille


Stille Nacht (heilige Nacht?)

Stille Wasser sind tief (oder seicht)

Stillschweigend ist doppelbödig

Still gestanden!!!




Mucksmäuschenstill lässt aufhorchen
Mäuschenstill hat im Moment aufgehört zu rascheln

Auf dem stillen Örtchen kommt jeder
mit sich ins Reine (hoffentlich)

Stillen als erotischer Akt
oder so:

Still, still, still,
weil's Kindlein schlafen will!
Maria tut es niedersingen,
ihre keusche Brust darbringen.
Still, still, still,
weil's Kindlein schlafen will!




Bild "Stille": www.picturepilot.de





Eine froh stillende Nacht wünsche ich allen Leserinnen und Lesern!













Die Lactatio des St. Pedro Nolasco (Detail), ca. 1663, Kloster La Merced in Cuzco/Peru

Im Dezember im Regen am Feuersee

An den breiten Füßen Badeschlappen, blau-weißer Kunststoff, schwarze Wollsocken. Darüber der fast bodenlange braune Mantel, darunter der unförmig sich abzeichnende Frauenkörper. Oben drauf das breite Gesicht, heller Vollmond unterm dunklen Kopftuch, nicht mehr jung, noch nicht alt. Ganzkörper-verhüllt, bis auf die Füße in Badeschlappen.

[Regen. Grau. Immer noch grüne Weiden am See.]

Im Schlepptau ein roter Einkaufswagen. Gang eher schwerfällig. Blick gesenkt oder gerade so auf Papierkorbhöhe. Nicht besonders zielgerichtet, mehr schweifend. Zeit satt.

[Zu Hause ist's auch nicht schön, nur trocken]

Vor sich hin, so. Unbestimmt. Stehen bleiben, gehen, ziehen, rollen, stocken, Blick auf den See, weiter, stocken, Augen in den Papierkorb, Hand hinterher, stochern, leere Hand raus, Augen zurückrufen, hoch, weiter.

Eine unter vielen. Langsam. Stetig. Unscheinbar. Unsichtbar.
Irgendwann außer Sicht.

*
Wer weglaufen will, dem wird ein Bein gestellt, wer denkt, dem wird der Kopf geschoren (Andrea Köhler über die Lyrik von Herta Müller).


. / . _ .


getrennte wege  -
der himmel voll
verstimmter geigen
.

zwei
gemeinsam 
einsam
.

ich du wir
eine ganze bande

vom Aufräumen und Austräumen

vom Aufräumen und Austräumen
wollte ich schreiben

schön sei's
aufgeräumt und ausgeträumt zu haben
das wollte ich schreiben

doch die Worte
fügten sich anders


nicht schön wär's
die Träume nicht mehr
um sich zu haben sie alle
seziert sie
analysiert sie wieder
zugenäht zu haben
sie zusammengefaltet und
verschnürt zu haben
mit blauen Bändern
sie platzsparend
verstaut zu haben sie
in hintersten Schubladen fast
vergessen zu haben

                                                                        f             b en         ~
nein                           ie       t  a  u          ~ ~
nicht schön wär's
                                                r
Träume sind                                          B


herzförmig

99 rote Luftballons auf grauem Wolkenstoff

eine zerrissene Liebeskette

deren Perlen in alle Richtungen davon

t     m      

au       el

     n


Botschaft kündend

?
       ?
   ?



Unruh

Die letzte fette Mücke surrt sich drinnen dumm an der Fensterscheibe. Während draußen der Wind an den Läden rüttelt. Die Mücke scheißt die Scheibe voll mit Verzweiflung. Der Wind kann nicht aufhören, kann nicht aufhören ... gibt keine Ruh. Die Mücke hängt irgendwo fest. Ihr Surren verzerrt. Der Wind steigert sich auch hinein. In was? Hat er Gefühle? Ist die Mücke dumm oder surrt sie sich nur dumm? Der wärmste Schal ist kaum warm genug. Durch die Löcher pfeift's. Pfeift der Wind, summt die fette Mücke. Den ärgsten Feind jag ich nicht mehr vors Haus heut. Auch nicht die fette Mücke. Sie darf bleiben bis der Wind, der Wind, das himmlische Kind endlich Ruh gibt.



Niklaus-Party

(c) Jeannette Frei, mit freundlicher Genehmigung

Die Lawine

unterschätze nie
das winzige Gefühl
es kann wachsen

klein wird zu groß
groß wird noch größer
aus größer wird mächtig
mächtig wird übermächtig

wer denkt dann noch daran
dass alles einmal
klein
angefangen hat