Bruder

Was kann ich dir nachrufen

Du warst mein großer Bruder
Der plötzlich nur ein Mensch war
Nur ein Mensch schwach
Zu einer Zeit als ich dich gern
Noch weiter angebetet hätte

Doch Götter stürzen
So ist das Leben so
Und nicht anders
Ist es

Was mir bislang nicht möglich war
Das tu ich jetzt
Ich deine kleine Schwester
Ich hüll dich ein in mich
Für immer


unlösbar
vorbei

(meinem Bruder)


zum Herbst

Flackerndes Licht
Mein Herz ist ein Kranich
Auf dem Weg nach Süden

.

Viel Wind um nichts
Die Blätter tanzen
Wildgeworden

.

Kälteeinbruch
Ich hülle meine Hoffnung
In warme Wolle


Der Stalker

Es juckt mich in den Fingern, über  "meinen Engel" zu schreiben.

Feinstoffliches Wesen, lang nicht mehr gesehen, verdünnisiert, unsichtbar gemacht, verflüchtigt, auf und davon. Luftikus?

Wie er wohl inzwischen aussieht? Ob er älter geworden ist. Ob die langen blonden Haare dünn und grau werden, sich vielleicht sogar eine kahle Platte auf seinem Kopf abzeichnet. Ob er sich altershalber eine Kurzhaarfrisur zugelegt hat oder den Kopf glatt rasiert, damit man die Platte nicht sieht. Ob er Brillenträger geworden ist, Grübel-Falten über der  Nasenwurzel hat, sein Augen müde und glanzlos geworden sind über dem Chaos meiner winzigen Welt. Ob er sich schäbbich lacht über mich. Ob ich seine Witzfigur bin? Ob er zu viel obergäriges Klosterbier trinkt und einen Bierbauch vor sich her bugsiert.

[Du sollst dir kein Bild machen …]

Vielleicht ist er einer dieser riesigen, düsteren Engel aus der Hagia Sophia. Mächtiger Schicksalsengel, immer gleich, aus dem Dunkel kommend, Dunkel in die Welt bringend, unheilverkündend, wie ein Schatten folgend, verfolgend.

Ein Stalker war er jedenfalls schon immer.


Foto: Beate Paland (CC BY-SA 3.0 DE)


Warten

Ich hülle mich ein in die Zeit
Eine Decke so schwer und so leicht
Ich ziehe die Beine ganz nah untern Leib
Und krümme den Rücken
Ganz klein

Ich lieg in deiner Hand
Die mich weckt
Irgendwann

Irgendwann
Bist du meine Sonne
Bin ich dein Mond
Bist du mir die Sonne
Schenk ich dir den Mond


der Schrei des Habichts


über den Wipfeln
sein Schrei
                            allein
der Schrei
über den Wipfeln


Samstag

morgen
der Tag des HERRN
den keiner
kennt

wenn du nicht da bist

wenn du nicht da bist
und es wird dunkel
dann kriecht ein Sehnen
über die Bettdecke

wenn dazu der Mond
voll und rund ist
besoffen
von seiner eigenen Fülle

dann hilft nur
Füße warmhalten
mit einer Bettkatze
sonst ist's arg

wenn's arg wird
dann flüstern die Schatten
aus den Ecken
und hauchen ins Ohr

und es hilft nur
unter die Decke kriechen
und so tun als schliefe
das kleine ich

Und dann stehst du am Meer

Und dann stehst du am Meer
und der Himmel spannt
sein blaues Tuch
über dir

Du löst es
vorsichtig

es ist leicht wie eine Feder

Du breitest sein feines Wolkengespinst
zu deinen Füßen in den Sand
und freust dich
dass der Himmel jetzt
hier ist

so leicht so blau

Du machst einen Kopfstand
- du kannst es noch -
und alles hat
wieder seine Ordnung