Orangen

eine Orange pflücken
ist wie Sonne tanken
warm und freundlich
ruht sie in der Hand
außen leicht bitter
innen süß schmeckt sie
einfach vollkommen

wie das Leben

wohnte ich im Süden
hätte ich einen Orangenbaum
in meinem Hof
und wäre er nur ganz klein
und trüge er nur eine einzige Frucht
ihr Duft genügte mir
vollkommen

Ich grüße meine Leser mit dem Duft von Orangen, danke für die Begleitung in diesem Jahr und freue mich auf ein pralles, buntes, rundes 2012.

Foto: Ellen Levy Finch   CC-Lizenz

drei Kurze

letztes Süßholz raspeln -
morgen ist auch noch ein Tag

*

Nachtschatten -
die Ringe unter den Augen
sprechen Bände

*

Morgenstunde -
im Mund frisch poliertes
Altgold

Erna - Alle Jahre wieder: 2011, die Letzte

Erna ist ein verqueres altes Ding. Immer, wenn es bei anderen so richtig gemütlich wird und sie das Singen anfangen, trippelt Erna auf meinen Blog. 

Morjn, Erna!“



 

Alle Jahre wieder – 2011, die Letzte

Erna und Hündchen stehen vor Ernas Haustür. Hündchen guckt erwartungsvoll, aber der Schwanz wedelt eher verhalten, ein wenig unsicher. Dieses Haus kennt es nicht, das ist nicht sein Haus. In seinen Blick schleicht sich ein leiser Anflug von Verzweiflung, aber noch hält sie sich in Grenzen. Es könnte alles gut werden. Ein richtiger Hund gibt die Hoffnung nicht so schnell auf.  Eine Hundehoffnung ist etwas ganz Starkes. [Anmerkung der Autorin: Katzen hoffen nicht. Katzen wissen.] 


Erna - Alle Jahre wieder: 2011, die Zweite

Zeichnung: Jeannette Frei
Erna ist ein verqueres altes Ding. Immer, wenn es bei anderen so richtig gemütlich wird und sie das Singen anfangen, trippelt Erna auf meinen Blog. „Morjn, Erna!“  


Alle Jahre wieder – 2011, die Zweite

Draußen ist ekliger Herbst. Nein, ekliger Winter. Der Wind rauscht durch das kahle Geäst der Bäume. Ein allerletztes Blatt klammert sich verzweifelt an seinen rettenden Ast. Es ist ganz starr vor Anstrengung. Auch Erna erstarrt in der Kälte. Ihre linke Hand wandert in Richtung Manteltasche und bleibt in der Luft hängen, weil keine Manteltasche da ist. Die Rechte friert am Einkaufsbeutel fest.

Erna - Alle Jahre wieder: 2011, die Erste

Zeichnung: Jeannette Frei
Erna ist ein verqueres altes Ding. Immer dann, wenn es bei anderen so richtig gemütlich wird und sie das Singen anfangen, trippelt Erna auf meinen Blog. Letztes Jahr an Weihnachten musste ich sie - wohl oder übel - auftreten lassen. Ich hatte gehofft, dass sie dieses Jahr einen anderen Blogger beehren würde. Aber nein! Sie trippelt schon wieder vor meiner Tür.
 
„Morjn, Erna!“ 
 

Weihnachten. Schon wieder ist ein Jahr vorbei gehuscht. Nur ein Mauseschwänzchen hat man gesehen, bevor das Jahr hurtig unter der Kommode verschwand.  Ernas Zeit vergeht schneller als die Zeit der anderen. Oder langsamer. Jedenfalls nie in dem Tempo, in dem Zeit vergehen sollte: schön gemächlich, so dass man noch mitkommt und nicht ständig aus der Puste gerät, aber nicht so langsam, dass man denkt alles stünde still.

Heute ist die Zeit wieder ein Schnellkochtopf, es zischt und brodelt, Erna kippt schier aus den Pantinen, so schnell kocht die Zeit. Sie muss noch einkaufen, bevor die Geschäfte schließen. Schnell, schnell. Sie weiß nicht, was. Aber das ist egal. Sie braucht was zum Beißen über die vielen Feiertage. Und was besonderes muss es sein. Man muss doch schließlich schmecken, dass Weihnachten ist. Von Butterbrot kann man schließlich noch den Rest des Jahrs leben.

Erna kippt aus den Pantinen, wurstelt sich hinein in die Stiefel. Schnaufend bückt sie sich bis die Fingerspitzen gerade so den Reißverschluss erreichen und zieht und zerrt. Das klemmt wieder, das Mistding. Dann hat sie das Ding in der Hand, das Ding, diesen Wurmfortsatz, mit dem man den Reißverschluss hochzieht. Sie weiß nicht, wie das Ding heißt. Der Reißverschluss ist zu, aber sie wird ihn nie wieder aufkriegen, denn das Ding ist ab. Sie schleudert das Ding verärgert in die Ecke. Mistding!

Sie greift den Geldbeutel. Das Kleingeld klimpert fröhlich, die Scheine rascheln vorfreudig. Sie grabscht sich die alte Plastiktüte, öffnet die Wohnungstür und zieht sie hinter sich zu. Wumm! Die ist zu. Wo ist der Schlüssel? Sie gräbt mit der knotigen Hand in der rechten Schürzentasche, sie schaufelt so dies und das ans Tageslicht: ein Schnupftuch, kariert, noch von ihrem Vater, eine verbogene Büroklammer, einen zerknitterten Einkaufszettel, ein abgegriffenes Tütchen Zucker. Aber keinen Schlüssel. War doch klar! Der ist drin geblieben, da, wo er hingehört, am Schlüsselbrett. Man muss ihn ja schließlich wieder finden. Da hängt er gut! Ja – und der Mantel hängt auch gut an der Garderobe im Flur.

Erna lässt sich ächzend auf der obersten Treppenstufe nieder. Kann nicht lange dauern, dann wird der Allerwerteste kalt und sie muss wieder aufstehen. Aber bis dahin …  Pause. Sie findet ein altes Bonbon in der linken Schürzentasche, dröselt mühsam das Papier auf  und stopft den Kleb in den Mund. Es klappert gegen die morschen Restzähne.

Während sie noch so sitzt kommt die Junge von nebenan mit tausend brandneuen Einkaufstüten die Treppe hochgeraschelt. Erna wischt verstohlen mit dem Pulloverärmel einen Tropfen von der Nase.

Die Junge guckt komisch, drückt sich grüßend vorbei und hinterlässt eine Duftwolke vom Feinsten. Es ist wie ein Giftgasangriff, nur dass Erna keine Schutzmaske parat hat. Sie zieht geräuschvoll die Nase hoch. Nur nichts verkommen lassen. Das Parfüm benebelt ihr Hirn und umwölkt ihre Denke. Sie ergibt sich wohlig dem Duft und träumt von Jugend und Verliebtheit. Sie schmeckt den süßen Lippenstift, hat die alten Schlager im Ohr, die Füße zucken ein bisschen im Takt und die Fingerspitzen zappeln, so, als ob sie gleich lostanzen wollten über die  Tasten des alten verstimmten Klaviers. Puppchen, du bist mein Augenstern …

Manchmal ist das Leben schön. Erna hat sofort einen ganzen Chor im Kopf, der die Schönheit des Lebens herbeiruft.

Vom Himmel hoch!, jauchzt eine Stimme los. Da komm ich her, summt Erna. Und bring euch gute, neue Mär, brummt ein Bariton von ganz tief unten.

Und Erna greift, wie von guten Mächten gelenkt, in die linke Schürzentasche. Da ist der Schlüssel. Geht doch!, nölt er. Geht doch! Und er lächelt Erna  silbern blinkend an, wie ein polierter Stern.

Du  mein schöner, glänzender Schatz, flüstert Erna und lächelt versonnen zurück. Sie streichelt  liebevoll über den kahlen Kopf des Schlüssels und erhebt sich ächzend.

Auf, auf in den Kampf, Torero!, schmettert es,  und Erna macht sich endlich auf den Weg zum Kaufladen.

Jeden Tag muss sie wie verrückt aufpassen, dass sie nicht durch die ganze Welt fällt, hinein ins Leere.

Für heute scheint die Gefahr gebannt. Sie fühlt Ernaglück im Bauch.


Morgen sehen wir dann weiter!
*
**
same

as every year

same as every year

procedure as every year
 
same procedure as every year

same
procedure
as every year

just to please you

war dann mal weg

aus dem moment / gekippt
der blick empor / in ratlosen augen
sackdunkel / die sekunde
die mich fällte mich / fallen ließ
eine lumpenpuppe / lieblos
geworfen / nur kälte
in mir zittern / ganz unten
sein braucht  / warme hände
warme hände

 bild erstellt mit http://solaas.com.ar/dreamlines/

public domain


ein unbekannter
überlässt sein werk
der public domain

gesehen in der u-bahn

Advent

. licht scheu / mischt sich ein .
so könnte ein Adventsgedicht beginnen

. wo eben noch dunkel / nun keimende hoffnung .
so könnte es weitergehen

. wo vorher schweigen / nun tastende worte .
wäre eine mögliche Fortsetzung

. himmels saum / tut sich auf .
könnte den Schluss bilden

und was dann?

. regen fällt schwer / auf die schultern
empor gereckte hände / sinken erleichtert
zurück in warme taschen / die pose war
ermüdend .

Sonne im Winter

Du glaubst es nicht, aber es ist möglich. Im Winter mitten in der Sonne sitzen ist möglich. Es ist durchaus möglich, selbst bei schlechtem Wetter, im Winter, dass plötzlich die Wolken aufreißen und die Sonne dir mitten ins Gesicht scheint. Es ist so umwerfend, dass du dich setzen musst, mitten hinein in diese strahlende Sonne. Eigentlich wolltest du etwas ganz anderes machen. Etwas Sinnvolles. Die Sonne ausnutzen für ein Wischen, Putzen, Säubern zum Beispiel, das wolltest du gerade tun. Dass später keiner sagen kann: Mensch, du sitzt den ganzen Tag zu Hause und tust nichts. Du tust einfach nichts, obwohl du Zeit satt hättest, an diesem Tag, an dem du mitten im Winter zu Hause sitzt. Aber - das ist es ja gerade. Weil du Zeit satt hast, weil sie dir ist wie ein ewiges Meer, weil sie dahin plätschert wie ein heiliger Fluss, gerade deswegen sitzt du jetzt hier an diesem Meer, an diesem Fluss in der Sonne und tust nichts. Soll sie doch zu deinen Füßen plätschern, die Zeit. Mag sie doch dein Gesicht netzen, die Sonne mitten im Winter.  Soll doch einfach alles so sein wie es eben ist, nicht anders, sondern genau so wie es eben ist. 

Sonne im Winter.
 .

grüne Nüsse -
jedem Anfang wohnt
ein Zauber inne
.
Sommer in dir

in Augenspiegeln
versonnen weiße Wolken
scheu verhangenes Lächeln
spiegelt die Sonne

manchmal begegnet man jemandem, in dessen Augen der Sommer leuchtet,
obwohl die Wolken grau und schwer vom Himmel hängen
.

perlendes Lachen -
Neapels mohnroter Mund treibt
Blüten im Raum

für Y. 
 .

Sturmwarnung -
Herbstblätter sammeln sich
zum Abflug
.
spiegelungen -
mein leben ist seitenverkehrt
in deinen augen


wir

zwischen uns / ein Hauch
Hautseide / ungewachst

minimale Reibung / optimale
Passform / du und ich

komprimiert / eingedampft
ein Salzkorn / winzig

raue Krone / schlichter Perle
Krönung / wir

wie ich das alles brauche!

Den Anblick von Mops, der sorgenvoll röchelnd seinen geliebten, roten Gummiring bergauf transportiert. Den herben Duft einer ganz bestimmten - und nur dieser - Achselhöhle. Den Blick riesiger brauner Augen hinter dicken Brillengläsern. Den Rahm auf der Milch und das Knäuschen vom Brot. Das hingebungsvolle Seufzen des Teigs unter den Handballen. Den verhassten Geruch meiner ersten Schule. Und diese unfassbar roten Lippen mitten im grauen November. Das dynamisch ausschreitende Ost-Ampelmännchen und seinen Bruder, den stocksteifen Verkehrsregler in Rot. Beide mit Hut.

Überhaupt: die Farbe Rot. Ich brauche Rot.

Das Bild von Bathseba, soeben dem Bade entstiegen. Ihre Haut perlmuttfarben, zart rosa angehaucht.

Bilder, ich brauche Bilder.

Im Winter einen swingenden Basslauf, der mich wiegt wie eine Sänfte. Im Frühling die musizierenden Frackträger vor meinem Fenster. Und das ganze Jahr diese sehr delikaten Meisen, die den Menschen bewohnen. Jede einzigartig, jede ein Paradiesvogel.

Wie sehr ich das alles brauche!

Es fiele mir noch viel mehr ein, endlos könnte ich aufzählen. Doch was ich jetzt am meisten brauche, das ist der Anblick von Mops, der sorgenvoll röchelnd seinen geliebten, roten Gummiring bergauf transportiert.

im großen Bären

nachts weitäugig 
aufschrecken

das Pfeifen des Winters im Ohr
die eisigen Hände am Ofen
des Herzens wärmen

dunkle Worte flüstern
die du bei Tageslicht
nicht einmal zu denken wagst

ins Schwarze zielend
die Stille um dich
zum Kreisen bringen
.

icy wind -
the bear is dreaming
wide awake

.

Erfolgsgeschichte

um ein Haar verlernten wir das Träumen
als Mutters Stöckelschuhe
uns endlich passten

als wir in Vaters Fußstapfen traten
verloren wir beinahe die Wolken
aus dem Blick

unsere Sehnsucht ging Zigaretten holen
als wir das Herz an den Einen
verschenkten

heute tragen wir Scheuklappen
weil uns die kleinste Regung zu Tode
schrecken könnte

fast
hätten wir es geschafft

wenn nur der rote Muskel
in unserer Brust endlich
Ruh gäbe

der falsche Film

im Hirn halb verdaute Brocken
aus dem Tag gerissenes
Treibgut noch nicht verankert
im Gefühlshafen

über mir die sieche Sonne
kraftlos zwischen den Häusern
hängend kaum mehr
als eine matte Tönung

mein Heimweg ein low-budget Film
verwackelt in Schwarz-Weiß
nachträglich koloriert und
miserabel vertont

fremdeln

ganz in gedanken
steh ich / neben mir

fremdelnd / nicht schwester
nicht freundin nicht / ich
eine mir unbekannte / die

ohne mich / fragend
mit meinem lächeln
in ihren augen / wirbt
um dich

Foto: e. h.
 .
das Telefon klingelt  -
dein Bild auf der Kommode
blickt mich fragend an
.

Suppenküche

Du bekommst etwas, das du eigentlich gar nicht wolltest. Du hast es dir nicht gewünscht, einer hat es dir zugeteilt. Selbstherrlich. Du weißt nicht, wozu es gut sein soll. Du nimmst es hin, eher widerwillig. Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul. Du sitzt am Katzentisch, ein Ausgehungerter, der aus einer Blechschüssel  wässrige Brotsuppe schlürft und sich sicher ist, dass er davon niemals satt werden wird. Du schmeckst das schale Ungenügen, gierst nach dem Schlaraffenland.

Und plötzlich – du hast lange aufgegessen -  kommt der Punkt. Du fühlst dich satt. Du bist satt, angenehm satt. Nicht übermäßig, sondern wohlig satt, wohlgesättigt.  Es fällt dir wie Schuppen von den Augen. Du erkennst, dass du genau DAS gebraucht hast. Dass es gut für dich war. Dass es keine wässrige Brühe war, kein trocken Brot. Dass es dir dient, dich nährt, dich warm hält. Du erkennst seinen Nutzen, ja, vielleicht sogar seine Schönheit.

Einer hat dir Rosen in den Blechnapf geschöpft.
Manchmal geschieht es einfach.

Foto: Jeannette Frei

herbstgewand

herbst umhüllt mich
mit seinem pelz sanft flügelnder motten
in die ich versinke
wie in das weiche moos
am ende der tage

seidenes rotmohnhemd
schlummert schon
     ganz für sich
unberührt leuchtend
leise die sonne noch atmend

herbst umfängt mich
mit seinem umhang raschelnder blätter
in die ich mich grabe
wie in den goldenen mulch
am rand meiner tage
bleib.
nur für eine wortsekunde
einen lidschlag
lang
nimm mich mit
vertäut
in deinen augenwinkeln

Rhythmusstörung

wenn dieser rote Muskel
stockt, aus dem Takt geratend taktlos
balanciert die Welt auf höchstem Punkt
in der Schwebe
wie von Flügeln gnädig gehalten

bis hierher und nicht weiter
zeigt die Ampel
Grün

novembertag

wenn ich beschreiben müsste dann
wäre schal das wort
schal der nachgeschmack dieses tages

es ist nicht so dass keine aussicht mehr
bestünde auf einen lichtblick
die sonne hat immer eine neue
chance zu fallen durch die löcher
in der grauen wolkendecke nur

scheint sie zu zögern ... vielleicht

bringt sie sich morgen wieder
an den tag

Schwarzer Vogel Tod

Pickt das Herzstück heraus
Zartes Rot zergeht ihm auf der Zunge
Wie ein Gedicht
Mit verzückt geschlossenen Augen
Den Kopf genüßlich zurückgelegt
Lässt er Leben
Durch die Kehle rinnen

Foto: (c) Katrin Schäflein www.picturepilot.de

monochrom 

abdichten

ich bin keine insel -
du gehst mir unter die haut. ich dichte
mich ab

Akut

Ich bin in ein Störungsfeld geraten. Die Spaßgesellschaft hat bei mir Einzug gehalten. Aus dem Nichts heraus, hinein in mein Leben. Ich stand auf stand-by. Jetzt wird der Knopf gedrückt. Ich darf endlich wieder teilnehmen: am Leben der anderen.  Von 0 auf 180 geht der Ausschlag meines Zeigers. Ich bin ein Stehaufmännchen, das lustig den Hang hinab purzelt. Go down, Moses!

Vorher noch langweilig bunte Seifenblasen auf meinem Bildschirm betrachtend, zähle ich nun die Tore, die auf sky geschossen werden. Welches Tor, ist egal. Ich kenne mich sowieso nicht aus. Hauptsache ein Tor, lautstark untermalt von dem Röhren der Junghirsche, die ihr Quartier unter mir bezogen haben. Ich juble mit. Gut, dass ich dabei sein darf. Tor!

Ich bin auch gern dabei bei der  Einweihungsfeier, dem ersten Geburtstag, dem zweiten Geburtstag, dem dritten Geburtstag. Schön, dass es Menschen gibt, die so oft  in direkter Folge Geburtstag haben. Nicht nur ein Mal im Jahr, und das noch im trüben November, so wie ich. Wir lassen die Gläser klirren, sie unten, ich oben. Mein Sektkonsum nimmt beunruhigende Ausmaße an. Cheers!

Selbstverständlich höre ich auch mit beim Aufräumen am frühen Morgen. Das lass ich mir nicht nehmen. Der ultimative Kick!  Noch ein letztes Gespräch, Stühle rücken, Geschirr klappern, dann das Fenster auf und wieder zu. Und der Rolladen runter. Shut up!

Morgens um fünf ist die Welt dann in Ordnung. Himmlische Stille. Bin ich tot?
Sieht so mein Paradies aus?

Mit rotgeränderten Augen stiere ich kurz darauf in die Seifenblasen meines Bildschirmschoners. Sie bewegen sich so merkwürdig lautlos. Ist das noch normal? Kann das sein? Ich sollte sie in virtuelle Tore blasen, dabei jubeln und mit den Füßen trampeln. Meiner Freude so richtig lautstark Ausdruck verleihen, nach oben und unten und allen Seiten abgeben davon, teilhaben lassen, nicht einfach immer alles nur für mich behalten.

Was bin ich nur für ein unsozialer Mensch!

Ich schalte meine Dunstabzugshaube ein – heimeliges Rauschen. Die Spülmaschine, die Waschmaschine, den Toaster, das Rührgerät. Ich drehe den Duschkopf bis zum Anschlag auf. Fehlt nur noch der Fernseher, das Radio, die Lautsprecher der Musikanlage. Zum Schluss noch die High-Heels abstauben und ran an die Füße damit.

Das ist pralles Leben! Einfach die Korken knallen lassen für alle!
Dumm nur, dass meine eigene Familie noch friedlich schläft.

Was bin ich nur für ein unsozialer Mensch!

Herbst anders

Bau'n wir ein bisschen?
Hat früher das Kind gebettelt
Und damit Lego-Häuser gemeint
Ich durfte helfen

Gemeinsam räumten wir
Am Abend auf
Schaufelten die bunten Steine
Zurück in die Kiste

Heute baut es alleine
Die ganze Stadt neu
Schichtet riesige Betonplatten
Plant ohne meine Hilfe

Alles ist groß
Das Kind und seine Häuser
Nur ich schrumpfe
Immer mehr zusammen
rund

um die Erde
gehst du nach links
nehm ich den rechten Weg
lass hoch den Falken steigen 
gen Ost ein Fetzen lichtes Blau
bestickt mit einer Sonnenblume
derweil behütest du die Sterne
auf dunklen Himmelsweiden 
malst einen bleichen Mond
und Wolkentauben eilen
um das Rund
~
im Süden
finden wir uns beide


vertrauen.querfeldein

vertrauen. querfeldein
über alles hinweg
vertrauen. in alles hinein

trotz allem

vertrauen. dass etwas
uns hält. aus dem nichts
vertrauen. ins sein

Tor zur Welt

In der Bücherei prallte ich auf die ganze Welt. Ich stieß auf sie in zwei winzigen, in dunklem Holz gehaltenen Räumen. Ich konnte kaum lesen, da stand ich schon vor der Tür. Ich klopfte an, öffnete vorsichtig, trat ein, tapfer wie David im Angesicht von Goliath. Durch zwei kleine Fenster fiel die Sonne mitten in mein Gesicht. Geblendet stand ich dem Hüter der Höhle voller Kostbarkeiten gegenüber.  Sein langer Schatten streckte sich quer über den Holzboden bis direkt vor meine Füße.

Wie er mich wohl sah? Da öffnete sich die Tür und herein kam dieses schüchterne, dickliche Kind mit zwei langen Zöpfen, das augenscheinlich nichts anderes im Sinn hatte als Bücher.
Was tat er? Er nickte kurz und zog sich wieder zurück in seinen eigenen Schatten.

In dem kleinen Raum konnten wir uns jedoch kaum entfliehen. Ich nicht seinem Schatten, der vorgab nicht da zu sein, und er nicht meiner konzentrierten Präsenz, die ganz auf die Regale zur Rechten seines Pults gerichtet war. Dort standen die Kinderbücher, von denen ich jedes einzelne schon mindestens fünf Mal gelesen hatte und die ich jetzt zum sechsten Mal in Angriff nahm, immer in der Hoffnung noch etwas Neues zu entdecken.

Es kam vor, dass eine kleine, bunte Welt klammheimlich hinter meinem Bett verschwunden war, dass die Wollmäuse darin spielten und sie nie mehr ans Tageslicht kam. Die Peinlichkeit der Beichte brachte mich jedes Mal fast um. Nur dann wechselten wir notgedrungen ein paar Worte miteinander, der Bibliothekar und ich.

Als ich auch noch sämtliche Erzählungen von Karl May verschlungen hatte,  als alles, aber auch wirklich alles leer gelesen war, wuchsen mir lange, bewegliche Stielaugen am Hinterkopf, die gierig in den zweiten Raum voller Bücher nur für Erwachsene schielten. Es war ein glücklicher Zufall, dass wir in eine größere Stadt zogen, mit einer moderneren Bibliothek.

Ich marschierte direkt in die Erwachsenenabteilung, hinein in Charles Dickens' turbulente Welt, und tauchte ab für viele Monate.

In Stuttgart wird heute die Bibliothek 21 eingeweiht. Das Äußere des Baus hat schon für Diskussionen gesorgt. Ich bin gespannt auf sein Innenleben.


Bibliothek am Mailänder Platz, Stuttgart
Foto: Wikimedia (Chris Stuggi/PD)

spätlese

in gedichten jahresringe
reifen lassen
das könnte ein ziel sein
auch wenn die jahresringe
die mich schmücken
schon fast alles erzählen

im outback II

foto: e. h.

atemschaukel

ich
mit dir 
gemeinsam allein
               auf  der atemschaukel
hin und her hin
und her
wir





im outback I 

fiktiv

um einen roman schreiben zu können
muss man das zeug dazu haben

nun habe ich zwar viel zeug
aber nicht das zeug

und alle hüllen
in die ich mein zeug packe
zerplatzen – über kurz oder lang
mit einem fast unhörbaren
ploppen oder entpuppen
sich als bonbonrosa
knalltüten gefüllt mit
nutzlosem

zeug

Die Verfasserin eilt zur diesjährigen Buchmesse. Sie wird sich dort vom Erlös, den sie durch den Verkauf ihrer fiktionalen Knalltüten erzielt, noch nicht einmal ein fiktives Bier leisten können. Aber – sie freut sich, dass dieses Jahr ein Lyriker den Nobelpreis für Literatur erhalten hat, Tomas Tranströmer.
meine sehnsucht
hat endlich laufen gelernt

blind stolpernd streift sie
unsere orte

ich gebe sie frei

heimat - leicht geschminkt

ich geb dir einen link
der führt direkt zu meinem herzen
er heißt heimat

heimat - alt und leicht geschminkt

storchenpaar

zu wissen
um das flaumleichte
das kostbar seidene band
es bergen zu können
im nest
das wir gebaut
für uns und unsre kinder
bedeutet zukunft
gemeinsam
weiter
richtung süden

wunderschön.aberselten

Ich gehe die Straße entlang und begegne Schönaberselten.

Schönaberselten begegnet mir eher selten. Doch wenn er mir begegnet ist es zuverlässig schön. Schönaberselten ist für mich jeder Mensch, den ich gern kennenlernen möchte.

Er begegnet mir also auf der Straße. Mein Blick fällt auf ihn, er gefällt mir auf den ersten Blick: seine Augen, der Ausdruck seines Munds, seine Haltung, sein Gang, das, was er trägt und wie er es trägt. Der eine gefällt mir so, der andere gefällt mir anders. Und ich finde es schade, dass ich den einen und den anderen Schönaberselten nie kennen werde, denn es passiert selten, dass jemand mir auf Anhieb so sympathisch erscheint.

Ich könnte Schönaberselten mitten auf dem Gehweg anhalten und sagen:
Du, halt ein! Du gefällst mir, wollen wir uns nicht kennenlernen?

Ich sehe deutlich seinen überrumpelten Blick und dann das schief verstörte Lächeln. Ich kann es mir so gut vorstellen, dass ich es lieber nicht wirklich erleben möchte.
Ich male mir aus, dass Schönaberselten dächte, ich wäre ein wenig verrückt. Sein Blick wechselte erst ins Mitleidige, verschlösse sich dann vielleicht abweisend. Er errötete, stotterte, suchte eine Ausflucht. Er hätte keine Zeit, wichtige Termine drängten, er müsste weiter, leider. Hastig flüchtete er mit flatternden Rockschößen, nur seinen feinen Duft und einen leichten Luftzug zurücklassend. Hinter ihm torkelten die Herbstblätter ein wenig ratlos über den Gehsteig und legten sich dann zur Ruhe.

Und während ich es mir noch vorstelle, ist es bereits zu spät. Vorbei. Verpasst. Schönaberselten ist schon weiter gerauscht. Ich sehe nur noch seinen schönen Rücken. Wir werden uns nie wieder begegnen.

Es war wunderschön.aberselten.


Gewidmet wunder.schoenaberselten, einer Bloggerin, die kurz.schluss beging, gerade als ich sie entdeckte.
So ist das virtuelle Leben.

Schreiben - eine Selbstbefragung

Für wen schreiben? Für Leser, für dich selbst?
Du bist dein erster Leser, also für dich, vor allen anderen.

Über wen schreiben? Du bist dir am nächsten, also über dich?
Bist du dir wirklich am nächsten? Manchmal liegt Fremdes näher als Eigenes.

Über was schreiben?
Nur das, was du am eigenen Leib erfährst, was dich innerlich berührt, kannst du schreibend erfassen. Der Rest der Welt ist dir fern, bleibt ein unbeschriebenes Blatt, von anderen mitfühlend zu füllen.

Wie viel Ich verträgt das lyrische Ich?

Wen täuschen? Andere oder dich selbst? Wen enttäuschen?

Wohin zielen? Mitten ins Herz? Oder mitten ins Hirn? Was liegt dazwischen?
Was darunter liegt, kennst du.

Welche Erwartungen erfüllen? Deine eigenen, die deiner Leser?
Kennst du sie? Stimmen sie überein?

Was streicht die Selbstzensur? Darf sie das?
Warum?

Dich welcher Kritik stellen?
Bist du dir Freund genug, um deine eigene Kritik anzunehmen? Kritik eines Feindes wirkt nur vernichtend. Zwischen diesen beiden die sachlich wohlmeinende Stellungnahme.

Schreiben als Schatzsuche. Graben, graben, graben, alte ausgelatschte Schuhe finden, tausendfach Wiedergekäutes. Die Freude, wenn ein Fundstück verhalten glitzert, ungewöhnlich geformt ist, ein kleine Geschichte erzählt, ein nachtdunkles Geheimnis birgt.

Überraschst du dich manchmal selbst?  

Über dir die Sterne.  Furcht vor dem Griff in ein schwarzes Loch.

[Die Frage WARUM stellt sich nicht.]

über allem

und über allem
der Mond
genau in der Zielgeraden

da, wo die Stadt nachts
ihre glitzernden Perlen
vor die Säue wirft

zu schmaler Sichel
verkümmert
im üppigen Drei-Gang-Menü

Sonne-Mond-und-Sterne

doch - über allem
der Mond
genau in deiner Zielgeraden

sieht er nur Dich
immerzu
egal, wo du auch stehst















innere Mongolei -
Dschingis Khans goldseidene Liebste
träumt von seiner Heimkehr

Foto: Katrin Schäflein www.picturepilot.de

fernes Land

Am grünen Grund

Am grünen Grund trieb ich
Einen Fluss von Haar führend
Gurrend lockte mich
Das Phantom der Nacht

Am grünen Grund trieb ich
In Feldern von Algen weidend
Verfing mich in den scharfen Schatten
Verlassener Angsthöhlen

Am grünen Grund trieb ich
Meine Haare gierig züngelnd
Wie ein Nest voller neugeborener
Schlangen



Zaghaft noch traumgebunden
Vernetzte ich mich
Mit dem müden Seufzen
Der ersten Straßenbahn

Meine Augen flüsterten
Die blaue Stunde
Ich nahm ein frisches Blatt
Vor den Mund

Foto:  © Karin Heinrich






Mein lila Onkel - die dritte

Ich hab so viel vergessen. Vieles wusste ich nie und muss es mir neu erfinden.

Ich weiß zum Beispiel nicht, wie mein lila Onkel seine Frau kennenlernte.
Es war doch alles so wirr damals.
.

for women only -
the hot flashes
of Indian summer

.

wallungen -
hitzige küsse
des späten sommers

.

Der Kuss des Muserich


der Muserich hat mich geküsst
heut mitten in der Nacht
bin ich ganz jäh erwacht
von seinem satten Schmatzen

ach, hätte er mich doch
weiter schlummern lassen
mich lieber sanft geweckt
ins frühe Tageslicht

dann hätte ich im Morgenrock 
für uns Kaffee gekocht
ganz stark und schrecklich süß
zwei volle runde Tassen

Ich danke Jeannette Frei für die Zeichnung „Kuss des Muserich“
Für alle, die es noch nicht wissen: Meine Muse ist vorwiegend männlich.

herbstlich

es stimmt -
unser so schönes Lieben
ist in die Jahre gekommen
die Haut ist nicht mehr straff
morgens zieren Tränensäcke
seine grau verhangenen Augen
es schielt hinab in die Vergangenheit
tastet sich nur zögerlich
weiter die Stufen hinauf -
ich weiß

stairway to heaven
war einmal

und doch -
etwas ist geblieben

die dunkle Sehnsucht
manchmal der nagende Schmerz
und es kommt vor
dass die Freude
zartrosa
neue Haut bildet
und das rastlose Trippeln der Tauben
auf dem heißen Blechdach
klingt immer noch
genau wie früher

geblieben sind auch
die Träume aus Feinstoff
gebreitet übers grobe Linnen
der Tage

Lustgarten


Liaison

gespanntes Lauschen
sucht
Rascheln im Laub


happy end

wir gehen
als freunde 
auseinander



verschlafenes Zwitschern - 
Waldeslust legt sich aufs Ohr


aus der Serie "Lustgarten", 15 "Bubbles", Durchmesser ca. 17 cm, laminiert


schöne Aussichten

im Sessel lehnend
die Pfeife lässig im Mundwinkel
so würde ich gern
den Blick aufs Leben genießen

das Einzige, was mich stört
an diesem Bild
ist das Flattern vergilbter Gardinen
im Abendwind

blütenweiß gewaschen
stünden sie meinem Ausblick
besser zu Gesicht

fenster zum balkon

ich bin ein fenster zum balkon
den sommer vorm balkon
genießen alle anderen
sie plaudern, lachen, rauchen
händchen haltend

leben plätschert draußen vorbei wie ein seichter bach

ich nehme witterung auf
nippe am beschwipsten kichern
der anderen
meine seifenblasen
zerplatzen haltlos
schillernd auf dem scheitel
des sommers

Mein lila Onkel - die zweite

Mein lila Onkel - die erste

Ich habe so viel vergessen. Vielleicht wusste ich es nie. Manches taucht wieder auf, vieles muss neu erfunden werden.

Mein lila Onkel fand irgendwann eine Frau. Sie wohnte am Meer. Das Meer existierte bislang nur in seinem Kopf. Er hatte es noch nie gesehen, aber von ihm geträumt. Er hatte das Meer im Rauschen der Tannen gehört.

himmlischer Garten

Birnen in Nachbars Garten -
Äste, schwer hängend, voll mit süßen Früchten
wer könnte da seine Hände bei sich behalten!

Eden ist hier
Vertreibung war einmal

lang, lang ist's her

Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland

Sie über sich

Elementarteilchen
weiblich

Dasein häufig
sinnfrei zweckgebunden

verstrickt im Netz
virtueller Freiheit

voll Sehnsucht
suchsüchtig


Zu jedem Elementarteilchen gibt es ein Teilchen, das - bis auf die entgegengesetzte Ladung - mit diesem identisch ist. Diese Teilchen heißen Antiteilchen. Auch die Antiteilchen zählen zu den Elementarteilchen. Aus:http://www.quantenwelt.de/elementar/

Sonnengesänge

.

frisch gemähtes Heu -
brütend hockt die Sonne auf den Ballen
in der Ferne Kühltürme
.














wir hatten ganz vergessen
wie grell Sommer sein kann
dass Sonne so stechen kann

wie eine launische Göttin
thronte sie auf dem Berg
wollte nicht untergehen
sie brüllte alles nieder
ließ die Vögel verstummen
klatschte uns das Surren der Mücken
um die Ohren

wir flüchteten
überließen das Feld
dem schrillen Betteln 
der Grillen
.

Launische Geliebte

Im Frühling bete ich sie an
Im Sommer fliehe ich vor ihr
Im Herbst laufe ich ihr nach
Im Winter vermisse ich sie

Foto: e. h.

naives bild

der kleine nachtportier
begleitet morgens um sechs
seine schöne frau
bis zur kreuzung

die ampel wird grün

mit einem feuchten kuss
trennen sich ihre wege

Das Aussterben der Kittelschürze

Demnächst wird die Kittelschürze aussterben. Das behaupte ich, und ich habe Beweise. Es gibt nur noch wenige Exemplare in der Nachbarschaft, und ich stelle fest, dass ich anfange ihren seltenen Anblick zu genießen.

mir träumte

mir träumte
meine nicht geträumten Träume
ließen ihre Köpfe rollen
auf mein weißes Papier

aus ihrem schwarzen Blut
formten sich
eigenartig schöne Worte
die Flügel bekamen

und mich verließen
im Traum
fand ich das ganz natürlich
fürchtete nur

dass sie zu einem andern
flögen, ihm von mir erzählten
und er sie schriebe
an meiner Stelle

doch als ich sah
dass sie zu reiner Farbe wurden
und auf der Leinwand
eines Malers landeten

da nahm ich einfach
unsre Tage und formte sie
im Traum zu Worten
die laufen konnten

und trotzdem bei mir
blieben

unsre zeit

es gab eine Zeit
da war Zeit für uns weit
weit wie der Himmel
wie Wüste, wie Meer
wir konnten sie füllen
nie war sie uns leer
mit allem, mit nichts
war sie prall gefüllt
federleicht, doch zugleich
reif, süß und schwer

ach, ich hatte geglaubt

der Funke in deinen Augen
hätte sich an mir entfacht
doch es kam der Herbst
und die Vögel
zogen
fort
.
Donnergrollen -
der Kirchturm jagt sein Bajonett
in die Wolken
.
.
Feierabend -
im Trümmerfeld grasende Bagger
der Kran nickt
.

Mein lila Onkel

Das Gesicht meines Onkels war lila. Ich flunkere nicht, nicht diesmal.

nimm zwei

















 
früher
schreckte mich
die Länge eines Lebens

heute weiß ich
dass mir eines nicht genügt

Foto: aufgenommen auf dem Hoppenlau-Friedhof, dem ältesten Friedhof Stuttgarts
.
Der schwäbische Dichter Wilhelm Hauff  ("Der kleine Muck", "Kalif Storch", "Das kalte Herz") liegt dort  begraben.

aus der Traum

 .
Besinnungslos im Bett der Gedanken
Geschäftiges Gezeter der Vögel
      Ein Tinnitus klingelt am Ohr
Das Gurren der Tauben weckt Kinderaugen
Schaler Geruch umhüllt
    Traumfetzen im wirren Haar
Die Kirchturmuhr schlägt nicht
Leben stottert
So früh am Morgen
.

Reanimation

.
Mund zu Mund Beatmung
könnte
uns wiederbeseelen
.

Sackbahnhof













Die Party ist aus -
Bitte alle aussteigen
Der Zug endet hier

Foto: Katrin Schäflein www.picturepilot.de

Selbstzensur

Verhasstes Spiel

Geht nicht! wirft sie mir vor
Wieso nicht? fange ich ihren Ball und kontere
Woher willst du wissen, dass es nicht geht ?
Ich hab doch noch gar nichts geschrieben!
Aber gedacht! schmettert sie zurück

Aus

entzaubert

















 
nur einen Flügelschlag / währte
der Traum und endete / abrupt

mit einem Hölzchen / zwischen
meinen Augenlidern

es tat nicht weh / es war
nur plötzlich heller

das Licht war greller / gnadenloser
sah ich dich / viel schärfer als zuvor

sie konnten nicht mehr träumen
meine Augen / so weit offen

mein Herz / so seltsam
kalt

Foto: e. h.


tod im ried

taumle flaume federleicht
ludert über feld und teich

lauernd kauernd dunkeltrieb
kniet im ried der lebensdieb

kaum der knall verröhrt im kraut
wild getaumel flügelt laut

taumle flaume federleicht
stürzt gemeuchelt in den teich

einsturzgefährdet














Wär ich ein Haus, dann trüge ich
ein Schild mit der Warnung
„Vorsicht! Einsturzgefährdet.“
Es wär mein ganzer Stolz.

Betagte Häuser finde ich reizvoll.
Sie erscheinen mir in meinen Träumen.

Mein Haus hätte Wände, malerisch
marmoriert mit Altersflecken,
mit Flechten bedeckte Mauern,
in deren Schatten Farne wüchsen,
erblindete Fenster, die den Himmel spiegelten
und den Abend ahnen ließen,
fragile Balkone, auf Krücken gestützt.
Und mitten im Flur gähnte,
dunkel und gierig,
ein Loch in den Dielen.
Der Tritt eines kleinen Fußes,
versunken ins Spiel, genügte,
und alles zerfiele.
Es wäre alt.
Es trüge ein Schild,
den Kindern zur Warnung.

Sie kämen trotzdem
zum Spielen.

Foto: e. h.

Waldrausch


















stürmisches  Rauschen
in den Wipfeln der Tannen
spülte mich
an den Waldesstrand
dort fand ich mich wieder -
ein unscheinbares Schneckenhaus
gefüllt bis obenhin
mit dem Rauschen des Winds
in den Bäumen

Foto: Katrin Schäflein www.picturepilot.de

so alt














Augen voll Raureif
der Winter zeichnet sich
in deinem weißen Haar
die Zartheit deiner Haut
erinnert

so alt

dein Vogel
endlich frei

Foto: Katrin Schäflein www.picturepilot.de

im outback I

unterm Zelt deines Atems 
vertäue ich meinen Kahn
zur Nacht

im Dickicht der Härchen
auf  deiner Brust
tickt sacht
der Geigerzähler
unsrer Liebe




 foto: e. h. 

die vogelfängerin

am sonntag
füll ich mich mit zwitschern
bis obenhin, ja
bis zum überlaufen

jeden morgen
lass ich eins flattern
hin über die dächer

jeden tag
hoffe ich wie verrückt
dass eins
zurückkommt als nachtigall
dass sich eins
auf die alte efeumauer setzt
dass
die katze mit den gelben augen es nicht frisst
dass mir
eins bleibt

am sonntag
geh ich in den wald
frische leimruten legen

Partnertausch

Mein kleiner gelb gestreifter Kater
macht unsrer schönen Nachbarin den Hof.
Streicht seelenvoll um seidenglatte Waden
und legt sich unter ihrem Rock zum Schlaf.

Ich habe einen andern Herzensfreund.
Es ist ein alter schwarzer Hund.
Voll Übermut teilt er mit mir den Atem
und stempelt mich mit seinen Pfoten bunt.

So sind wir alle ganz zufrieden.
Mehr muss nicht sein. Was ist, genügt.
Und abends tauschen wir die Lieben,
ein jeder dann im eignen Bette liegt.

:o)

Die Füchsin

anders soll es sein anders möchte ich anfangen anders soll es weitergehen aber da sind die Schienen matt glänzend geradeaus immer geradeaus bis ins Abendrot

ausgeglitten bin ich dann war da ein Zögern ein Tasten ein Stolpern dann wieder die Schienen die altbekannten verführerisch aufpoliert in denen es sich so schön bequem spurt zwischen Scheuklappen

an der Gabelung blick ich nach links und nach rechts so hab ich es gelernt für alle Zeiten und schnüre erst zögernd dann immer schneller weiter geradeaus immer der Nase nach

Sackgasse sagt das Schild vor mir ich lass mich nicht täuschen ich weiß doch aus Sackgassen führen oft Wege hinaus hinauf hinab geheime Treppchen gewundene Pfade verwilderte Schleichwege die nur die kennen die sich gern verstecken Mörder Liebespaare und Füchsinnen

ich schleich mich endlich ins Gebüsch und lass die weißen Mäuse tanzen rot tuschen Walderdbeeren meine Schnauze meine Pfoten baden knöcheltief im grünen Klee

Walderdbeeren

.
süße Unschuld -
der Fuchsbandwurm leckt sich
das Maul
.

am ende

. . . hütet dich
ein unsichtbarer zaun /
noli me tangere -
rühr mich nicht an /
das hier und  jetzt
und alle zeit der welt
ziehn als lautlose schatten
an deinem weißen bett
vorbei

am ende sind wir alle
gleich /allein

für H.

fallen angel














den linken Arm
wie einen zerfetzten Flügel
nutzlos auf dem Rücken tragend
trudle ich durch den Tag

von gefallenen Engeln
haben wir schon gehört, doch
erst im Fallen traf mich
die Erkenntnis wie ein Blitz

ich wünschte
ich hätte es nie erfahren

Bild erstellt mit dreamlines http://solaas.com.ar/dreamlines/

Mein Engel

„Nachts sind alle Katzen grau“, sagte Großvater immer. Aber, er hatte nicht recht. Die Katze, die mir eben über die Füße lief, war nicht grau, sondern schwarz. Kohlrabenschwarz, schwarz wie diese sternenlose Nacht. Ich hab sie nicht gesehen, nur gespürt. Hab mit den bloßen Zehen ihr knisterndes Fell berührt. Der Schrei blieb mir im Hals stecken wie ein Brocken hartes Brot. weiterlesen

Eine "Großvater und ich"-Geschichte

Wie kam ...

das Lächeln auf die Welt?

Es funkelte schon ewig
In einem kleinen Stern
Als dieser dann vom Himmel fiel
Hat einer sich's gewünscht
Jetzt ist es mitten unter uns
Und bittet um Asyl

im Regen

wir hatten nicht mit ihm gerechnet
obwohl wir ahnten, dass er kommen würde
der Himmel setzte erste Zeichen

wie eine herrliche Verwünschung brach er
über uns herein, platschte
aus grauen Wolken-Eimern auf unsere Köpfe
prügelte unseren Buckel rund
rann aus unsren Haaren und
troff närrisch von unseren Nasenspitzen

er füllte die Schuhe
bis wir sie ins Gras kickten
bis wir anfingen zu tanzen

barfuß

in den Pfützen hüpften die Tropfen
im Takt
zum Trommeln des Regens

wir ließen uns nicht aus dem Paradies vertreiben
nicht dieses Mal
es war eine Lust mitten im Wasser zu stehen
wir waren Sumpfdotterblumen
goldgelb wie die Sonne
besoffen vom Regen

Festmahl

Wie eine Auster schlürf ich dich
Salzig spült Meer in meinen Mund
Du regst dich noch, du lebst in mir
Ich spür dir nach bis auf den Grund

Du bist das Mehr - das, was mir fehlt
Das Salz, der Honig und der Wein
Ich schließ die Augen, träum dich her
Genussvoll in den Tag hinein
.
ich vergaß - Alzheimer
lässt grüßen
.

die Treppe

uraltes Holz barock sich räkelnd
unter meinem Schritt samtdunkler
Glanz atmend im Teppich
vieler Stimmen wünscht' ich
barfuß zu steigen
auf dieser breiten Himmelsleiter
zu fühlen wie
Vergangenes schmeichelnd sich
an meine Sohlen schmiegt

im Ludwigsburger Schloss, Festspiele 2011

Neues von Erna - und wieder passiert nichts

Erna zieht sich einen Stuhl ans Küchenfenster.
Der halbe Mond hängt überm Dach des Nachbarhauses. Ein Blinzler. Sie zwinkert zurück. Der weiß alles vom Leben, hat die ganze Welt im Auge. Jede Nacht.   weiterlesen

Notration

Glückskrümel
rieseln mir in den Schoß
blind tasten
meine Fingerspitzen
sie zu bergen
für magere Zeiten
.
licht am ende des tunnels -
hoffnung
ist nur ein fluchtweg ins freie
.

leichte Beute


















zwangsläufig Zeit
schinden
wo soll das hinführen
zielloses Treiben
im Strom
kopfloser Geschäftigkeit
Passanten rudern eilig
vorbei
ein Penner mit Rollator
wittert seine Chance
beim angeschlagenen Wild
ich
bin leichte Beute
er schenkt mir
Alles Gute

foto: (c) e. h.

sprechende Hände

gießen Worte
in Form

setzen Zeichen
im Raum

geben Impulse
schlagen den Takt
dirigieren das Chaos

spenden Wärme
reichen Brot
trocknen Tränen
lösen Knoten
tanzen Träume

Hände sind
unsre Flügelspitzen

sprechende Hände

stolperstein











auf dem rücken ranzen
heft und bücher tanzen
herrnkind springt allein
in die weite welt hinein
stolpert übern pflasterstein
    böser stein
          stolperstein
heile heile mausespeck
in fünfzig jahr ist's kind dann
    weg

auf dem buckel ranzen
buch und hefte tanzen
sternkind geht allein
in die graue welt hinein
stolpert traurig übern stein
    gelber stern
        goldner stein
            stolperstein
heile heile mäusedreck
plötzlich ist das kindlein
    weg

Der Künstler Gunter Demnig erinnert an die Opfer der NS-Zeit, indem er vor ihrem letzten selbst gewählten Wohnort Gedenktafeln aus Messing ins Trottoir einlässt. Inzwischen liegen STOLPERSTEINE in über 500 Orten Deutschlands. Vor meinem Haus sind zwei davon.

Ein sehr spröder Text – ich weiß. Er erzählt von einem Schulweg, den zwei Kinder zur gleichen Zeit gegangen sind. Die Zeit hat beide inzwischen verschlungen, das eine früher, das andere später. „herrnkind“ und „sternkind“ habe ich aus Christa Wolfs „Nachdenken über Christa T.“  übernommen.

foto: katrin schäflein www.picturepilot.de

morgens ist die welt ...

du sitzt da
neuer tag dämmert
erste gedanken liegen
schwer im magen

du sitzt da
mit deiner zeit
die dir geschenkt wurde
einfach so

einem geschenkten gaul schaut man nicht ins maul
sagt ein sprichwort

du riskierst trotzdem einen blick
ins maul des tages
es steht verdammt weit offen
und zeigt dir faule zähne

bevor es dich anhaucht
reich ihm die bürste
als einen akt der gnade

mother's finest

.
muttertag vorbei -
gelbe rosen hängen ab
für ein nickerchen
.
mother's finest -
the yellow roses take
a power nap
.
.
friedlich faucht
der rote drache lap top
in meinen schoß
.

alles neu

nachts um zwei sehne ich
das erste zwitschern der vögel herbei
die morgendämmerung ist ein hoffnungsschimmer
der duft von frisch gebrühtem kaffee
das paradies auf erden

wie ich ihn gekocht habe, will ich gar nicht beschreiben. es war spannender als eine abenteuerreise durch den kolumbianischen urwald.

bittersüß

.
den bitteren
kern im süßen gehäuse
knacken
.

schmerz

und wieder
seine wühlenden finger
in deinem fleisch
du hattest ihn vergessen
wolltest dir seinen namen
nicht merken warum auch
kommt er doch ohne aus
überall auf der welt
den griff seiner unbarmherzig
harten hand
lernt jeder kennen
irgendwann

sei gewiss
dir geht es noch gold
vergiss die linke
kneif mit der rechten sanft
die spitze deiner nase
sie ist eiskalt aber
du atmest schon den sommer
er wird -
wie jedes jahr

verkehrte welt

foto: e.h.

.
frierend
auf dem sofa sitzen
während draußen
der frühling
tobt
.
.
ich streue Sand - ich
will es knirschen hören
wenn du gehst
.
.
der neue Porsche
ließ mir den Vortritt
heute Morgen
.

schönster Ort

Schönster Ort. Ich kenne einen

Öffne das Tor, tritt ein, geh durch die Reihen. Verweile
Verschenk die Zeit dem Ort.  Streu Wasser über Blumen, Erde, Steine
Blick übers Tal, zum Wald. Greifvögel ziehen ihre Kreise
Hör wie die Grillen geigen. Sieh die Schafe weiden
Ein Schwarzes unter lauter Weißen
Die Namen auf den Steinen gleichen deinem

Ein Ort. An dem die Menschen manchmal weinen

Der Sonne ausgeliefert mondbeschienen
Den Kopf im Himmel ohne Schatten stehst du
Verwurzelt an dem Ort der Deinen

dieser Ort ist ein Friedhof am Rand des Spessarts       heimat

vom Fliegen

Draußen scheint die Sonne. Großvater sitzt am Tisch in der Wohnstube. Sein Kopf ist auf die Tischplatte gesunken. Ein dünner, durchsichtiger Speichelfaden rinnt aus seinem Mund auf die geblümte Stofftischdecke. Er schnorchelt leise. Die Zigarre, die eben noch locker in seinem rechten Mundwinkel hing, ist auf den Tisch gerollt. Auf dem Tischtuch trollt kalte Asche.

vergissunsnicht

.
ein apfel am tag
erinnert an verflossene
freuden
.

die blauen Blumen














mir träumt
ich spiel auf deiner Wiese
sorglos
wie ein Kind

wie Kinder nun mal sind
tob ich umher
gebe nicht Acht
auf blaue Blumen
die da stehen
im Traum
tut es mir weh
zu sehen
dass dieses Kind
spielend
sie knickt

so hoffe ich
dass du verzeihst
wenn neuer Tag
uns weckt

Foto: Guido Gerding /cc-lizenz

Bauernmode

links die rote
rechts die blaue
Socke
so bleibst du
mir das Liebste

wilder Honig

















im Klang deiner Stimme
träum ich
durch Raum und Zeit

wilder Honig
im Schatten der Bäume
sind wir
für immer jung
sind wir
Frühlingstriebe
auf morschem Holz

im Klang deiner Stimme
träum ich uns
durch Raum und Zeit

wilder honig - audio

Für M. S.
Foto: (c)  M. S.

Du tust mir gut

wenn ich mir Brandlöcher hole
    ins offene Feuer fliege
immer wieder
    verführt von Wärme und Licht
legst du dich kühlend auf meine Haut
.
Fastenzeit -
auf den Verzicht
verzichten
.

der Kuss

.
in warmen dunklen Höhlen
nach Gold
graben
.

Kapriolen

der Frühling schlüpft
aus seinen Schuhn
und wagt einen Handstand
im Gras da gibt es ein stilles
Örtchen im Hinterhof

[nein, nicht was ihr denkt]

er macht seinen Handstand fast
gekonnt und kippt mitten
in die einsame Tulpe die da
einfach so rumsteht
der Tollpatsch

[kann er nicht woanders
muss er die Einzige?]

erste Liebe

sie hatten eine Bettwiese
in einer winzigen Kammer

sie massakrierten Gänseblümchen
[liebt mich, liebt mich nicht]
und päppelten die Welt auf

er stand bei Bosch am Band
sie drückte die Schulbank

ich frage mich was
sie heute haben

eine gemeinsame Schrankwand
oder
zwei getrennte Universen?

Jugendliebe anders:
Versagen, poetisch oder Wald erleben 

Poesie am Rand


















am Rand
gedeihen sie am besten
die kleinen Wilden
die in den zarten Farben
die unscheinbaren Mauerblümchen
die verblassen

wenn Rosen und Lilien
stolz erhobenen Hauptes
langbeinig hüftschwenkend
den Catwalk im Vorgarten
entlang stöckeln
angefeuert vom Dauerlächeln
der Zwerge

sie wispern
mit den Zaunkönigen
heimlich
tanzen
mit verwunschenen Prinzen
bis zum Morgen

das lächeln

das lächeln blieb
ich hätt' es gern
verschenkt
an dich

an irgendwen
es blieb mir
angeheftet

wie eine klette
am revers
fast lästig
blieb es

mir ein schmuck
ich danke dir
dafür

freitags

ausgelaugt
wie früher am Waschtag
die Hemden meiner Mutter
ausgewrungen
bis auf den letzten Tropfen
dieser 1:99 verdünnt und
potenziert zu LM

ich bin
die Quintessenz meiner Existenz
hochwirksam
selbstheilend

Similia similibus curantur (Ähnliches wird mit Ähnlichem geheilt)
Ich danke - mit einem Augenzwinkern - Samuel Hahnemann und seiner Homöopathie.

der Speicher

steig unters Dach hinauf
wie ein Kokon umhüllt dich dort
der Duft von morschem, trockenem Holz
dich kitzeln Sonnenstäubchen
sei wieder Kind und niese alles fort
auch die vertrauten Schatten
die stets um dich sind

wenn's regnet, dreh mit beiden Händen
den großen schwarzen Schlüssel
öffne die Tür nach draußen
[sie klemmt wie früher] lausche
dem Nieseln, Gluckern, Rauschen
sieh, wie die Pfützen tanzen
fühl deine Füße patschen

Schlaflos - Text im Wandel

SCHLAFEN  kann man das nicht nennen.
Ich bin Sisyphos' Schwester und wälze
eine steinerne Last über zerknitterte Laken.

Ich bitte die Größen aus Politik und Wirtschaft um Hilfe.
Verlegen hüstelnd nesteln sie an ihren Krawatten.
Sie waschen ihre Hände in Unschuld
und möchten sauber bleiben. 

Die VIPs aus dem Kulturbereich verdrehen
ratlos die Augen, als ich mich an sie wende.
Sie klappern ohrenbetäubend mit ihren hölzernen Ratschen
und leiern Ungereimtes.

Der Vertreter der Kirche, den ich um Beistand anrufe,
erhebt die Augen zum sternenklaren Himmel.
Dort oben sitzt der, der immer alles weiß. Nur heute nicht.
Es ist die Nacht der Nächte. ER hat frei. 

Mein Ruf verhallt.
Ich wälze mich ein letztes Mal  und
öffne die verklebten Lider.
                    

So sah der Text ursprünglich aus. 
Das ist daraus geworden:
                    

Es war die Nacht der Nächte
ER hatte frei
Mein Nachtgebet verlief im Sand

ER hatte frei
Bis dann am Morgen mein Gebet
Vor Kälte zitternd vor ihm stand
                    

Ich bin gespannt auf Reaktionen.
Mein besonderer Dank geht an den Emil verdichten

Sakura

(S-Bahn zum Flughafen, 13. März 2011)

eine schwermütige Melodie
besingt die Pracht japanischer Kirschblüten
Töne von durchsichtiger Klarheit
umranken unsichtbare Schallmauern
unverzagt
pinseln ein filigranes Lächeln 
in mich und zaubern fifty Cent
in den verlebten Pappbecher
der jungen Sängerin

wir sind

.
Herren der Welt
statt
Mütter der Erde
.

zeitgleich (im Café)

durch Wörter gebanntes Unheil
krümmelt achtlos zu Boden
klirrend rücken Tassen zusammen
Prosecco perlt sich
murmelnd
ins Aus

verstörende Bilder
verharren tonlos

die Welle rollt
anderswo