Zufall

heute morgen in der Bahn
setzte sich eine zierliche Frau
mit einer großen geraden
wie aus Marmor fein gemeiselten Nase
neben einen Mann
der Zeitung las und
eine ebenso große gerade
fein gemeiselte Nase
mitten im Gesicht trug

ich wartete darauf
dass sie sich mit Namen begrüßten
wie Geschwister oder gute Freunde
dass sie sich umarmten
oder die Nasen aneinander rieben
wie Geliebte, die sich treffen

ich fand es eine einmalige
Gelegenheit sich kennenzulernen
falls man sich noch nicht kannte

aber nichts geschah

die Frau stieg grußlos
an der nächsten Station aus
der Mann verließ den Zug
an der übernächsten
als sei nichts gewesen

Momentaufnahme

lang schaute ich nach vorn
nun blicke ich nach hinten
und sehe alles kleiner
feiner werden
und verschwinden

Beine

Ich sehe schlanke Frauenbeine laufen, eine gepflasterte Strandpromenade entlang. (War es gegen Abend?) Es sind die Beine einer bekannten amerikanischen Schauspielerin, deren Namen ich mir nicht merken kann. Es sind nur ihre Beine, die ich gehen sehe, wie selbstverständlich, schwerelos, in einem fließenden Rhythmus, die Füße in diesen High-Heels. Die Beine sind das einzige, was mir vom ganzen Film in Erinnerung blieb. Diese Beine, die so genüsslich liefen. Jeder Schritt ausgekostet unter dem Auge der Kamera. Jeder Schritt verkostet vom Zuschauer. Jeder Schritt im Blick schmelzend wie Eis auf der Zunge. Jeder Schritt ein Ereignis, das man immer wieder genießen könnte ohne sich satt zu sehen. Endlos. Und falls die Strandpromenade irgendwo zu Ende wäre, dann würden diese Beine einfach weiterlaufen, ohne High-Heels, barfüßig über den Sand, immer am lockeren Saum der Wellen entlang bis ans Ende der Welt. Denn die Welt ist eine Scheibe. Und sie würden weiter laufen über die roten Abendwolken … bis ans Ende des Films.
THE END

im Morgendämmer

manchmal bist du morgens
ein freundliches Gestein
leicht verwittert
die Sonne geht auf über dir
ihre Strahlen breiten sich
über mich

über mich, die stille Ebene
die an deiner Seite ruht

die Berge heben sich und sinken
im Rhythmus des Atems
weit draußen
zieht der große Vogel
einsam seine Kreise
über unsrer Stadt

morgendliche Begegnung

es will mir einfach
nicht gelingen
Herrn Silberfisch zum Reim
zu bringen

[er ist so huschig und so glatt
sein Gleiten macht mich himmlisch matt]

Herr Silberfisch und ich
wir zwei
sind Frühaufsteher
nebenbei

verschlafen rauf ich
noch das Haar
küss mir im Spiegel
wunderbar

die Lippen wach
da flitzt er schon
ganz ungebremst
auf dem Balkon

dann blitzeschnell
ihr glaubt es kaum
ist er zurück
im Nässeraum

bei mir ...

[er will es wohl genießen
die Allerliebste zu begrüßen]

Ich bin die Liebste
nur ...
ein falscher Tritt von mir
von ihm bleibt nichts
als eine zarte
Silberspur

[drum geb ich auf ihn acht
auch wenn ihr drüber lacht]


die Küsse

Die Küsse
löschten alles vorher
aus

So sind die Küsse
jetzt
wiegender Tanz


dein Schweigen

ich würde gern
über dein Schweigen sprechen
aber die Worte stocken
sind Gefangene
im Kerker meiner Kehle
würgend
werden sie zu meinem
Schweigen

bleibt nur eine traurige kleine
Melodie in meinem Kopf

das ist dein Tinnitus -
hör ich dich so deutlich sagen
als seist du neben mir

das klingt
wenn auch nicht schön
doch es klingt





Sehnsuchtsbilder

Sehnsuchtsbilder
entstehen da wo der Alltag
endet

sie tupfen Farbe
auf Weiß und setzen Lichter
ins Schwarz

flüchtige Skizzen
immer in neuen Formen
wiederkehrend

in einen Rahmen
gefasst
werden sie Alltag