Großvater und ich - Das Armband

 Hörversion

Über allem liegt der feine Lackfilm des Regens. Sonne bricht durch ein Loch in den Wolken. Straßenpflaster, Hausdächer und Blätter glänzen wie Gold. Im Gully vor dem Haus gluckert leise das Wasser. Ich hänge mit dem ganzen Oberkörper im Himmel.

Pass auf, nicht so weit!

Vor dem Fenster baumeln die schwarzen Schlangen der Telefonleitung.  Glitzernde Gondeln gleiten geräuschlos daran entlang.  Ich pflücke sie  mit  Daumen und Zeigefinger und lecke mit der Zunge über meine feuchten Fingerspitzen. Süß schmeckt es, ein bisschen rostig. Ich wünsche mir ein Armband mit Steinen, die glitzern wie Regentropfen im Sonnenlicht.

Ich heirate mal einen reichen Mann!

Die Dorfstraße ist eine Hindernisbahn. Große Pfützen, kleine Pfützen, Steine, aufgeweichte Kuhfladen. Auf Zehenspitzen balanciere ich vorbei  am Kuhstall des Nachbarn. Aus der Stalltür dampfen kleine Wolken. Der warme Mief von Tieren, Heu und Mist schlägt mir entgegen. Das Klirren der Ketten und das Mahlen der Kuhmäuler begleiten mich. Ich singe haarscharf vorbei an Kuhfladen, über kleine Pfützen hinweg, um die großen herum. Väterchen Frost hat zugeschlagen, sagt Großvater. Man muss sich ja schämen, sagt Mutter.

Ich kenne den Weg im Schlaf, weil: Mich kann man schicken!
Ich beeile mich nicht, weil: Ich fürchte den Krämer.

Ich liebe den Laden und fürchte den Krämer. Wenn wir allein sind im Laden, singt der Krämer mein Lied.  Es ist mein Lied, weil er es nur singt, wenn wir allein sind. Mein Name kommt darin vor, die Melodie ist aus dem Radio. Das Lied ist so klebrig wie rosa Brausepulver auf dem verschwitzten Handteller. Der Krämer trällert es in den höchsten Tönen. Mir wird heiß, meine Wangen glühen, ich schwitze, meine Augen verkriechen sich ganz nach innen, und ich möchte am liebsten fortlaufen.

Es ist ein Lied für Frauen.

Der Krämer freut sich. Seine Augen leuchten, sein Mund ist ein Clownsmund. Seine Arme breiten sich aus, seine Brust hebt sich unterm grauen Kittel. Er wiegt sich im Takt, tut so, als ob er eine Tanzpartnerin durch einen Ballsaal schwenken würde.

Wenn Philomena den Laden betritt, ist es aus mit dem Gesinge.
Philomena ist seine fette Frau. Sonntags sitzt sie in der Kirchbank direkt vor mir.
Philomena singt für Gott.

Ich beeile mich nicht, komme aber trotzdem an.
Ich öffne die Ladentür. Die Türglocke bimmelt, der Krämer tritt lächelnd hinter die Theke, er knipst das Strahlen in seinen Augen an, verzieht den breiten Clownsmund, die ersten Töne perlen. Ich höre meinen Namen. Seine Brust hebt sich ...

Ich sehe nur noch das Armbändchen auf der Theke. Es ist aus Plastik. Rosa und hellblaue Perlen, die wie winzige Rosen geformt sind. Sie glänzen nicht. Es ist nicht kostbar. Es gefällt mir nicht.
Ich blicke dem Krämer mitten in die Augensonne, greife mit der rechten Hand langsam, ganz langsam nach dem Armband und lasse es vorsichtig in meine Rocktasche gleiten. Ein kühler Luftzug streichelt über meine heißen Wangen. Ein leises Lachen kitzelt mich im Nacken.
Der Krämer strahlt mich unverwandt an, die Töne perlen weiter. Das Armband brennt lichterloh in meiner Tasche. Ich nehme meine Augen an mich, drehe auf dem Absatz um, gehe zur Tür, öffne sie, lasse die Glocke zum Abschied bimmeln und renne die Stufen hinab auf die Straße.

Die Luft ist rein gewaschen. Ich atme tief ein und singe mich wieder zwischen den Pfützen Richtung Heimat.  Die Nachbarin ruft etwas hinter mir her, das wie ein großes Feuer brausend in meinem Kopf  hocken bleibt. Ich bleibe nicht stehen, sondern stürme durch das Hoftor die Treppe hinauf, reiße die Haustür auf, stürze kopfüber in den Flur und poltere an meiner Mutter vorbei die steilen Holzstufen hoch in die Schlafstube. Ich hole mit spitzen Fingern das lichterloh brennende Ding aus meiner Tasche und verberge es hinten, ganz weit hinten, tief unter der Matratze. Die Mäuse sollen ihr Nest damit bauen.

Ich hasse es.

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