Aufwärmen

Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll, oder besser gesagt, mit welchem Teil von mir.

Mit den Füßen, dem Herz, dem Hirn? Die Füße sind eiskalt. Das Hirn, das raucht und will keine Ruh geben. Dazwischen das Herz, klein, steinhart und still. Am besten lehn ich's an den Kopf-Ofen zum Aufwärmen, damit es wieder zum Leben erwacht. Und den Kopf deckel ich, damit er nicht mehr so qualmt, sondern gemütlich bollert. Dann wird’s schon wieder. Wirst sehn! Sag ich zu mir und mach mich an die Arbeit. Schwarze Hände machen mir nichts aus. Ist wie früher, als man noch einen Holzofen hatte. Da steckte einfach ein bisschen Arbeit drin, wenn es gemütlich werden sollte. Manchmal hat's nicht gleich funktioniert. Der Funke war zu winzig oder die Flammen wurden zu groß. Aber dann irgendwann saß man am Ofen, die Füße an der warmen Ofenwand, und die Papierschlange drehte sich wie von Zauberhand bewegt in der Luftströmung über der Herdplatte.

He ihr – sag ich zu uns. He ihr– alles klar?
Alles klar, Babo, antworten wir drei. Endlich wieder zusammen warm.

06:30

heute Morgen
wurde die U-Bahn
überfallen

fünf Kontrolleure drangen
durch zwei Türen
in einen Wagen

auf je zwei Fahrgäste
kam ein Kontrolleur

die Fahrgäste waren
erschlagen

24. November

jetzt die erste Kerze anzünden
ist doch noch November
kommen viele dunkle Tage

letzte Rosen lassen
unendlich müd
den Kopf hängen
dauert noch der Winter
hat kaum begonnen

bei verriegelten Fenstern
der Stille lauschen dem feinen Geiger
der auftritt wenn keine Stimme
herein spielt kein Zwitschern
sein Nest baut im Haus

Weihnachten leuchtet
fast nah

sehr früh

Das Moped des Zeitungsboten
kreuzt heiser
einen Traum

Auf den Dächern
milchig
Nachtkrabs Hauch

Der Sattel
besoffen vom Nebeltau

Schatten lungern noch
auf dem Weg

Rechts vor links
vor links vor rechts
keiner wird gewinnen


so ein Glück

so ein Glück hab ich
es kribbelt mir in den Fingern
brennt mir unter den Nägeln
liegt mir auf der Zunge
krabbelt mir leichthin über die Haut
so ein Glück hab ich

nur manchmal haut's mich
zurück aus dem Glück
dann ist's mir
haltlos
kopflos
sinnlos
dann liegt's da drinnen bloß
und friert

bis ich wieder fühl
so ein Glück hab ich
so ein Glück
mit dir

aus allen Himmeln gefallen

ich trat auf seinen Schweif
es geschah ohne Absicht
er lag am Boden

er reagiert
mit einem matten Zwinkern
erst
dann immer heftiger
blinkt er mich an
in Rage  
wirft stroboskopisch Blitze
knüpft wild sein Netz um mich
zackt außer Rand und Band
droht 
zu verschlingen
aus Rache
wie ein alter Gott
ein alter Gott

über (m)ich

 (alles, was sowieso niemanden interessiert)

Der Boden ist meine Reibungsfläche. Ich trete gern in Kontakt mit ihm, und sei es durch Fallen.
Ausnahme: die Gehwege in Berlin. Dort lauern zu viele Tretminen.

Ich mag Haut: junge glatte weiche, zärtlich feine faltig alte ...

Ich hasse Parfüm. Es ist ein Kampfmittel. Schlagmichtot.

Mein Plan war, in Würde zu altern. Jetzt will ich lieber in Würde jung bleiben.

Mein Hirn ist ein Labyrinth, keine Einbahnstraße.

Ich stelle mir manchmal vor, richtig guten Käse zu verkaufen. Ich sehe mich hinter der Theke stehen und über alle möglichen und unmöglichen Käsesorten herrschen. Und wehe, mir liefe einer davon, weil er zu alt wäre!

Nachts um halb zwölf klopft einer an meine Tür (das ist kein Käse und es ist auch nicht nachts um halb eins). Ich mach ihm nicht auf, weil ich weiß, da ist keiner.

Im Mündlichen kriege ich immer eine 5, die ich nur durchs Schriftliche ausbügeln kann. Deswegen schreibe ich (lieber).

So sieht's aus!

Garda

Wolkendecke -
geschlossene Gesellschaft
überm See

.

selbstvergessen -
eine Kapelle hockt
oben am Berg

.

kurvenreich -
Hühner verlieren gackernd
die Orientierung

.

am griechischen* See -
Salve! 
grüßt der junge Römer


* griechisch deswegen, weil das Wasser so türkis ist wie die Kuppeln der griechischen Kirchen

satte Stille

das muntere Plätschern
der Spülmaschine
das letzte Aufbegehren
der Waschmaschine
das gleichmäßige Rauschen
der Dunstabzugshaube
leises Dudeln
des Küchenradios
buntes Stimmengemurmel
des Fernsehers
die Tinnitusgeige
im Ohr

Hilfsmaßnahmen
Notaggregate
Überlebenswerkzeuge
eingesetzt zur Vertreibung
der satten Stille