Orangen

eine Orange pflücken
ist wie Sonne tanken
warm und freundlich
ruht sie in der Hand
außen leicht bitter
innen süß schmeckt sie
einfach vollkommen

wie das Leben

wohnte ich im Süden
hätte ich einen Orangenbaum
in meinem Hof
und wäre er nur ganz klein
und trüge er nur eine einzige Frucht
ihr Duft genügte mir
vollkommen

Ich grüße meine Leser mit dem Duft von Orangen, danke für die Begleitung in diesem Jahr und freue mich auf ein pralles, buntes, rundes 2012.

Foto: Ellen Levy Finch   CC-Lizenz

drei Kurze

letztes Süßholz raspeln -
morgen ist auch noch ein Tag

*

Nachtschatten -
die Ringe unter den Augen
sprechen Bände

*

Morgenstunde -
im Mund frisch poliertes
Altgold

Erna - Alle Jahre wieder: 2011, die Letzte

Erna ist ein verqueres altes Ding. Immer, wenn es bei anderen so richtig gemütlich wird und sie das Singen anfangen, trippelt Erna auf meinen Blog. 

Morjn, Erna!“



 

Alle Jahre wieder – 2011, die Letzte

Erna und Hündchen stehen vor Ernas Haustür. Hündchen guckt erwartungsvoll, aber der Schwanz wedelt eher verhalten, ein wenig unsicher. Dieses Haus kennt es nicht, das ist nicht sein Haus. In seinen Blick schleicht sich ein leiser Anflug von Verzweiflung, aber noch hält sie sich in Grenzen. Es könnte alles gut werden. Ein richtiger Hund gibt die Hoffnung nicht so schnell auf.  Eine Hundehoffnung ist etwas ganz Starkes. [Anmerkung der Autorin: Katzen hoffen nicht. Katzen wissen.] 


Erna - Alle Jahre wieder: 2011, die Zweite

Zeichnung: Jeannette Frei
Erna ist ein verqueres altes Ding. Immer, wenn es bei anderen so richtig gemütlich wird und sie das Singen anfangen, trippelt Erna auf meinen Blog. „Morjn, Erna!“  


Alle Jahre wieder – 2011, die Zweite

Draußen ist ekliger Herbst. Nein, ekliger Winter. Der Wind rauscht durch das kahle Geäst der Bäume. Ein allerletztes Blatt klammert sich verzweifelt an seinen rettenden Ast. Es ist ganz starr vor Anstrengung. Auch Erna erstarrt in der Kälte. Ihre linke Hand wandert in Richtung Manteltasche und bleibt in der Luft hängen, weil keine Manteltasche da ist. Die Rechte friert am Einkaufsbeutel fest.

Erna - Alle Jahre wieder: 2011, die Erste

Zeichnung: Jeannette Frei
Erna ist ein verqueres altes Ding. Immer dann, wenn es bei anderen so richtig gemütlich wird und sie das Singen anfangen, trippelt Erna auf meinen Blog. Letztes Jahr an Weihnachten musste ich sie - wohl oder übel - auftreten lassen. Ich hatte gehofft, dass sie dieses Jahr einen anderen Blogger beehren würde. Aber nein! Sie trippelt schon wieder vor meiner Tür.
 
„Morjn, Erna!“ 
 

Weihnachten. Schon wieder ist ein Jahr vorbei gehuscht. Nur ein Mauseschwänzchen hat man gesehen, bevor das Jahr hurtig unter der Kommode verschwand.  Ernas Zeit vergeht schneller als die Zeit der anderen. Oder langsamer. Jedenfalls nie in dem Tempo, in dem Zeit vergehen sollte: schön gemächlich, so dass man noch mitkommt und nicht ständig aus der Puste gerät, aber nicht so langsam, dass man denkt alles stünde still.

Heute ist die Zeit wieder ein Schnellkochtopf, es zischt und brodelt, Erna kippt schier aus den Pantinen, so schnell kocht die Zeit. Sie muss noch einkaufen, bevor die Geschäfte schließen. Schnell, schnell. Sie weiß nicht, was. Aber das ist egal. Sie braucht was zum Beißen über die vielen Feiertage. Und was besonderes muss es sein. Man muss doch schließlich schmecken, dass Weihnachten ist. Von Butterbrot kann man schließlich noch den Rest des Jahrs leben.

Erna kippt aus den Pantinen, wurstelt sich hinein in die Stiefel. Schnaufend bückt sie sich bis die Fingerspitzen gerade so den Reißverschluss erreichen und zieht und zerrt. Das klemmt wieder, das Mistding. Dann hat sie das Ding in der Hand, das Ding, diesen Wurmfortsatz, mit dem man den Reißverschluss hochzieht. Sie weiß nicht, wie das Ding heißt. Der Reißverschluss ist zu, aber sie wird ihn nie wieder aufkriegen, denn das Ding ist ab. Sie schleudert das Ding verärgert in die Ecke. Mistding!

Sie greift den Geldbeutel. Das Kleingeld klimpert fröhlich, die Scheine rascheln vorfreudig. Sie grabscht sich die alte Plastiktüte, öffnet die Wohnungstür und zieht sie hinter sich zu. Wumm! Die ist zu. Wo ist der Schlüssel? Sie gräbt mit der knotigen Hand in der rechten Schürzentasche, sie schaufelt so dies und das ans Tageslicht: ein Schnupftuch, kariert, noch von ihrem Vater, eine verbogene Büroklammer, einen zerknitterten Einkaufszettel, ein abgegriffenes Tütchen Zucker. Aber keinen Schlüssel. War doch klar! Der ist drin geblieben, da, wo er hingehört, am Schlüsselbrett. Man muss ihn ja schließlich wieder finden. Da hängt er gut! Ja – und der Mantel hängt auch gut an der Garderobe im Flur.

Erna lässt sich ächzend auf der obersten Treppenstufe nieder. Kann nicht lange dauern, dann wird der Allerwerteste kalt und sie muss wieder aufstehen. Aber bis dahin …  Pause. Sie findet ein altes Bonbon in der linken Schürzentasche, dröselt mühsam das Papier auf  und stopft den Kleb in den Mund. Es klappert gegen die morschen Restzähne.

Während sie noch so sitzt kommt die Junge von nebenan mit tausend brandneuen Einkaufstüten die Treppe hochgeraschelt. Erna wischt verstohlen mit dem Pulloverärmel einen Tropfen von der Nase.

Die Junge guckt komisch, drückt sich grüßend vorbei und hinterlässt eine Duftwolke vom Feinsten. Es ist wie ein Giftgasangriff, nur dass Erna keine Schutzmaske parat hat. Sie zieht geräuschvoll die Nase hoch. Nur nichts verkommen lassen. Das Parfüm benebelt ihr Hirn und umwölkt ihre Denke. Sie ergibt sich wohlig dem Duft und träumt von Jugend und Verliebtheit. Sie schmeckt den süßen Lippenstift, hat die alten Schlager im Ohr, die Füße zucken ein bisschen im Takt und die Fingerspitzen zappeln, so, als ob sie gleich lostanzen wollten über die  Tasten des alten verstimmten Klaviers. Puppchen, du bist mein Augenstern …

Manchmal ist das Leben schön. Erna hat sofort einen ganzen Chor im Kopf, der die Schönheit des Lebens herbeiruft.

Vom Himmel hoch!, jauchzt eine Stimme los. Da komm ich her, summt Erna. Und bring euch gute, neue Mär, brummt ein Bariton von ganz tief unten.

Und Erna greift, wie von guten Mächten gelenkt, in die linke Schürzentasche. Da ist der Schlüssel. Geht doch!, nölt er. Geht doch! Und er lächelt Erna  silbern blinkend an, wie ein polierter Stern.

Du  mein schöner, glänzender Schatz, flüstert Erna und lächelt versonnen zurück. Sie streichelt  liebevoll über den kahlen Kopf des Schlüssels und erhebt sich ächzend.

Auf, auf in den Kampf, Torero!, schmettert es,  und Erna macht sich endlich auf den Weg zum Kaufladen.

Jeden Tag muss sie wie verrückt aufpassen, dass sie nicht durch die ganze Welt fällt, hinein ins Leere.

Für heute scheint die Gefahr gebannt. Sie fühlt Ernaglück im Bauch.


Morgen sehen wir dann weiter!
*
**
same

as every year

same as every year

procedure as every year
 
same procedure as every year

same
procedure
as every year

just to please you

war dann mal weg

aus dem moment / gekippt
der blick empor / in ratlosen augen
sackdunkel / die sekunde
die mich fällte mich / fallen ließ
eine lumpenpuppe / lieblos
geworfen / nur kälte
in mir zittern / ganz unten
sein braucht  / warme hände
warme hände

 bild erstellt mit http://solaas.com.ar/dreamlines/

public domain


ein unbekannter
überlässt sein werk
der public domain

gesehen in der u-bahn

Advent

. licht scheu / mischt sich ein .
so könnte ein Adventsgedicht beginnen

. wo eben noch dunkel / nun keimende hoffnung .
so könnte es weitergehen

. wo vorher schweigen / nun tastende worte .
wäre eine mögliche Fortsetzung

. himmels saum / tut sich auf .
könnte den Schluss bilden

und was dann?

. regen fällt schwer / auf die schultern
empor gereckte hände / sinken erleichtert
zurück in warme taschen / die pose war
ermüdend .

Sonne im Winter

Du glaubst es nicht, aber es ist möglich. Im Winter mitten in der Sonne sitzen ist möglich. Es ist durchaus möglich, selbst bei schlechtem Wetter, im Winter, dass plötzlich die Wolken aufreißen und die Sonne dir mitten ins Gesicht scheint. Es ist so umwerfend, dass du dich setzen musst, mitten hinein in diese strahlende Sonne. Eigentlich wolltest du etwas ganz anderes machen. Etwas Sinnvolles. Die Sonne ausnutzen für ein Wischen, Putzen, Säubern zum Beispiel, das wolltest du gerade tun. Dass später keiner sagen kann: Mensch, du sitzt den ganzen Tag zu Hause und tust nichts. Du tust einfach nichts, obwohl du Zeit satt hättest, an diesem Tag, an dem du mitten im Winter zu Hause sitzt. Aber - das ist es ja gerade. Weil du Zeit satt hast, weil sie dir ist wie ein ewiges Meer, weil sie dahin plätschert wie ein heiliger Fluss, gerade deswegen sitzt du jetzt hier an diesem Meer, an diesem Fluss in der Sonne und tust nichts. Soll sie doch zu deinen Füßen plätschern, die Zeit. Mag sie doch dein Gesicht netzen, die Sonne mitten im Winter.  Soll doch einfach alles so sein wie es eben ist, nicht anders, sondern genau so wie es eben ist. 

Sonne im Winter.
 .

grüne Nüsse -
jedem Anfang wohnt
ein Zauber inne
.
Sommer in dir

in Augenspiegeln
versonnen weiße Wolken
scheu verhangenes Lächeln
spiegelt die Sonne

manchmal begegnet man jemandem, in dessen Augen der Sommer leuchtet,
obwohl die Wolken grau und schwer vom Himmel hängen
.

perlendes Lachen -
Neapels mohnroter Mund treibt
Blüten im Raum

für Y. 
 .

Sturmwarnung -
Herbstblätter sammeln sich
zum Abflug
.
spiegelungen -
mein leben ist seitenverkehrt
in deinen augen


wir

zwischen uns / ein Hauch
Hautseide / ungewachst

minimale Reibung / optimale
Passform / du und ich

komprimiert / eingedampft
ein Salzkorn / winzig

raue Krone / schlichter Perle
Krönung / wir