nur geträumt

ich hatte gewünscht
du wohntest länger in meinem blick
so viel raum in meinen augenwinkeln
steht leer

ich hatte gehofft
du seist morgen noch an meiner seite
meine glückssträhne verlängernd
bis zum horizont

ich hatte geglaubt
die flinken finger des winds
strichen mir weiter durchs haar auf dein geheiß hin
locken drehend

ich hatte nur geträumt

Notaufnahme – oder: Das Flügelhemd. Eine kleine Fantasie

Hörversion

Flügelhemden sind nicht auszurotten, weil praktisch. Also praktisch unausrottbar.
Flügelhemden verleihen Flügel. Sie machen vogelfrei. Nicht im guten Sinn. Wenn du ein Flügelhemd trägst kann jeder mit dir machen, was er will. Es ist praktisch, fast quadratisch und gut - für jeden, aber nicht für dich.
                 
Sei also lieber jeder.

Ich bin jeder. In meinem Kopf ist ein Spielstübchen mit einarmigen Banditen. Dort spiele ich gern zum Zeitvertreib. Dort ist auch meine Requisitenkiste:

Ich greif hinein, finde sofort,
passend zum Ort, ein Flügelhemd
für meinen linken Nebenmann.
Aus diesem Mannsbild wird sodann
ein tätowiertes Engelswesen.
Ich lasse ihm die Stiefel an. 
Das weiße Hemd verleiht
ihm eine Aura von Verletzlichkeit.
Das steht ihm gut. Ich schmelz dahin.
Als ich dann wieder bei mir bin,
hat sich zur Rechten was getan.
Schockierend schön treff ich SIE an.
Sie ist nun ohne Schuhe, barfuß
und enthüllt lackierte Nägel, rot
verführerisch und wild.
Und das zum weißen Hemd.
Chapeau, Hut ab! Das denk ich noch,
da seh ich schon wie links
sich eine Toga - wie von selbst -
um weiße Marmormuskeln sphinxt.
Verblüfft und äußerst fasziniert
betrachte ich den Mann, der dies
vollführt. Nun braucht es Klartext,

denn ...
an sein geschwollenes rechtes Knie klammert sich hartnäckig eine dieser  vielbeinigen Vorrichtungen zur Stabilisierung zerschmetterter Knochen. Seine kräftigen Waden sind tierisch schwarz behaart. Es rieselt kalt meinen Rücken hinab. Erst gestern sah ich ähnliches in einem Terrarium. Meine Augen suchen Halt ...
auf dem zerknitterten Alten gegenüber. Das weiße Haupt gebeugt stützt er sich mit der Rechten auf einen Stock mit Hirschhorngriff. Einen solchen sah ich zum letzten Mal in der Hand meines Großvaters. Der Alte schaut hoch, als er meinen Blick spürt. Seine Augen sind klar und mittelmeerblau. Ich meine ein Lächeln darin zu erkennen. Aber - mit fremden Großvätern sollte man lieber nicht spaßen. Ich lasse ihm die Hosen an.

Zurück zu mir, denn bald
bin ich die Nächste.
Ich trage schon das Flatterhemd.
Im Rücken zieht es kalt.
Ein Blick an mir hinab zeigt

große Füße in sündhaft teuren Cowboystiefeln, die ich noch nie vorher gesehen habe. Unterm Hemd blitzen viel zu weite, in schrillen Farben geblümte Boxershorts hervor. Ich liege auf einem Rollbett und werde rasend schnell abtransportiert.

Aus der Traum.

Der Leser kann vermuten, dass ich viel zu viel Zeit in der Ambulanz eines benachbarten Krankenhauses verbracht habe. Mit dieser Vermutung liegt er genau richtig.   :o)







blues

.

wo zwei sich scheiden
wohnt der blues
.


blues

Ich war noch nie in den USA, aber ich liebe den Blues. Ich bin mit der amerikanischen Literatur, den Filmen und der Musik gereist. Hab mich vollgesogen mit Bildern und selbst Bilder im Kopf kreiert, die nur die Wirklichkeit wieder austreiben oder korrigieren könnte. Sie sind schwarz-weiß oder vergilbt, sie flimmern stumm, sie reißen. Sie kommen daher wie "Die kleinen Strolche".
In den 50er und 60er Jahren zerfraßen die amerikanischen Panzer Tag und Nacht den Gehweg vor unserem Haus. Ihr schwerfälliges Rattern war bedrohlich und beruhigend zugleich. Aus den Luken tauchten, mit breitem weißem Grinsen, schwarze Gesichter. Kaugummi und Orangen landeten in meinen Händen und wanderten in meinen Mund. Das Klischee lebte. Es war schwarz-weiß und lieferte mir Nahrung.

foto: janick neundorf

Ich scheue mich nicht

die Zeit zu entkleiden entblößt
zurück zum Kind das gebändigt
in schweren Zöpfen hing statt
frei zu fliegen das 
als das Sehnen kam kletterte
in sinnlos Verzweigtem erklomm
den Kamm der nächsten Höhe glitt
ab in Seinstäler folgte
dem Zeitfluss verlor sich
im Tief trieb ab weit draußen
strandete später viel später

und atemlos
auf steinigem Boden endlich
wuchsen ihm
Flügel

Mit ausgebreiteten Flügeln
verlaß ich's

Die Zeile "Mit ausgebreiteten Flügeln verlaß ich's" ist einem wunderbaren Gedicht von Hilde Domin entnommen, einem meiner Lebensgedichte. Ich wünschte, es wäre von mir:


Ich bewahre mich nicht

Ich fiel mir aus der Hand,
Ich flügelschlagend
fiel auf den Kies
die Flügel schlagend

Mit ausgebreiteten Flügeln
ich bewahre mich nicht
mit ausgebreiteten Flügeln
verlaß ich's




Sie

steckt abgezählt im Gänseblümchen. Ist dick geschmiert auf jedes Butterbrot. Sie baut ihr Nest direkt im Himmel. Und schaufelt Kohlen tief im Keller. Schlendert auf High-Heels lässig durch die Träume. Sie geht am Stock und rostet nie. Ist ein verspielter Hund. Ein Kind. Legt ihren müden Kopf in deinen Schoß. Schläft ein. Sie geht verloren wie ein Schlüsselbund. Und wird gefunden hinterm nächsten Stein.
Ihr Blick trifft tief. Sie lässt dich leben. Tröstet dich. Putzt dir die Nase,  klebt ein Pflaster auf dein Knie. Schickt dich dann wieder los und ruft dich abends heim.

Es gibt so viele Arten, alle anders ähnlich gleich.
Da, wo sie fehlt, da ist die Nacht sehr tief.

Zen für Anfänger

alles fließt! sagtest du
wohin? fragte ich
alles vergeht! sagtest du
wann? fragte ich
alles wird gut! sagtest du
für wen? fragte ich

du bliebst mir
die Antwort schuldig

ich übe noch immer
geduldig
auf meinem leeren Blatt
den Kreis
der die Leere hält
.

Winterwald -
der Specht zimmert ein Dach
für die Stille
.

Foto: www.picturepilot.de

noli me tangere

Hörversion

die Liebe schläft
in meinem Schoß
rühr sie nicht an
sie braucht die Ruhe
nach dem Sturm
vertrau auf sie
denn irgendwann
wird sie sich räkelnd
wieder groß
klopft an
bei dir und mir

die Liebe schläft
in meinem Schoß
gefaltet wie ein Schirm
der uns beschützt
entfaltet sich
bei Sturm
deckt uns
fliegt mit uns und
ist wieder groß
behütet
dich und mich

Der Speicher

Hörversion

Immer wieder zieht es mich auf den Speicher. Und sei es im Traum.
Manches Kind hat ihn nie kennen gelernt, diesen Ort, an dem die Erinnerungen der Familie aufbewahrt werden. An dem die Mutter sommers wie winters die frisch gewaschene Wäsche zum Trocknen aufhängt, weil sie keine Wiese hat, auf der sie  die lange Leine spannen könnte.

Der Speicher ist dieser vor Trockenheit leise knisternde Raum ganz oben unterm Dach, an dem winzige Staubfäden wie Seepferdchen gemächlich im Sonnenlicht schippern, wenn Sonne da ist. Bei schlechtem Wetter ist es dort sackduster. Nur eine Glühbirne kämpft ums nackte Überleben. Es heißt:         
                    Im Keller ist es duster, dort wohnt der arme Schuster.
Aber, was ist mit dem Speicher? Wer wohnt da? Die Mäuse wohnen da und auch ein größeres Tier, das sich nie zeigt. Und der finstere Schrecken wohnt in allen Ecken. Kann sein, man muss ganz schnell hinaus rennen und die Tür mit lautem Knall hinter sich zuschlagen, weil da etwas lauert, das man ahnt und nicht wirklich wissen will.

Der Speicher ist Holz. Holz pur, trocken, rissig, altersgrau, voller Splitter, und wenn man nicht aufpasst, dann weinen die bloßen Füße und an den Fingern muss man saugen. Die Füße haben schwarze Sohlen, wenn man mit den Stäubchen tanzt. Und die Nase niest sich ins reine Vergnügen hinein. Sie katapultiert sich direkt in den Kopfhimmel und noch darüber hinaus, hin zu den Tauben, die auf dem Dach trippeln, als ob sie es nicht mehr aushielten, als ob einer zu ihnen gesagt hätte:
                    Du bleibst hier und rührst dich nicht vom Fleck, bis ich wieder komme!
Sie trippeln und trippeln im Kreis, wie gebannt, und gurren:
                    Rugedigu, Blut ist im Schuh.
Und man schaut auf die Füße, aber da ist kein Schuh, und man ist keine Prinzessin, sondern wieder nur ein Aschenputtel, obwohl man weiß: Dort in der alten, großen Kiste lagert Samt und Seide und mit Goldfäden durchwirkter Damast. Die Kiste hat ein verrostetes Schloss. Den Schlüssel dazu hat was-weiß-ich-irgendwer vor langer Zeit verschlampt.

Auch Rumpelstilzchen hat irgendwie auf dem Speicher zu tun, obwohl es im Märchenbuch auf Waldboden tanzt. Man hört es manchmal nachts toben dort oben, es rumpelt und poltert seine ganze geballte Wut über den Boden, darüber der Wind. Der Wind, der Wind, das himmlische Kind pfeift durch die vielen Ritzen zwischen den Ziegeln. Er schneidet ganz gemein hinein ins Dach. Man fühlt ihn bis unter die Daunendecke. Er zieht an den Zehen.

Das ist der Speicher. Und nun noch sein Geruch!
Luftgetrocknetes, sonnenwarmes Holz an verblichenem Lavendel, mit einer ganz leichten Spur Mäusekot im Abgang.

Der Speicher

Vater

fern ruhst du
in der alten Erde
dein Grab besetzt
bewacht von einer
die es hütet
vorgeblich aus Liebe

ich hab sie aufgegeben
die kalte Erde
als Herzstein rollst du
bis die Zeit
kampflos mir überlässt
der Alten Ort

noreply

nicht
auf den mund gefallen
sein

heißt nicht
auf alles eine antwort
wissen