Akut

Ich bin in ein Störungsfeld geraten. Die Spaßgesellschaft hat bei mir Einzug gehalten. Aus dem Nichts heraus, hinein in mein Leben. Ich stand auf stand-by. Jetzt wird der Knopf gedrückt. Ich darf endlich wieder teilnehmen: am Leben der anderen.  Von 0 auf 180 geht der Ausschlag meines Zeigers. Ich bin ein Stehaufmännchen, das lustig den Hang hinab purzelt. Go down, Moses!

Vorher noch langweilig bunte Seifenblasen auf meinem Bildschirm betrachtend, zähle ich nun die Tore, die auf sky geschossen werden. Welches Tor, ist egal. Ich kenne mich sowieso nicht aus. Hauptsache ein Tor, lautstark untermalt von dem Röhren der Junghirsche, die ihr Quartier unter mir bezogen haben. Ich juble mit. Gut, dass ich dabei sein darf. Tor!

Ich bin auch gern dabei bei der  Einweihungsfeier, dem ersten Geburtstag, dem zweiten Geburtstag, dem dritten Geburtstag. Schön, dass es Menschen gibt, die so oft  in direkter Folge Geburtstag haben. Nicht nur ein Mal im Jahr, und das noch im trüben November, so wie ich. Wir lassen die Gläser klirren, sie unten, ich oben. Mein Sektkonsum nimmt beunruhigende Ausmaße an. Cheers!

Selbstverständlich höre ich auch mit beim Aufräumen am frühen Morgen. Das lass ich mir nicht nehmen. Der ultimative Kick!  Noch ein letztes Gespräch, Stühle rücken, Geschirr klappern, dann das Fenster auf und wieder zu. Und der Rolladen runter. Shut up!

Morgens um fünf ist die Welt dann in Ordnung. Himmlische Stille. Bin ich tot?
Sieht so mein Paradies aus?

Mit rotgeränderten Augen stiere ich kurz darauf in die Seifenblasen meines Bildschirmschoners. Sie bewegen sich so merkwürdig lautlos. Ist das noch normal? Kann das sein? Ich sollte sie in virtuelle Tore blasen, dabei jubeln und mit den Füßen trampeln. Meiner Freude so richtig lautstark Ausdruck verleihen, nach oben und unten und allen Seiten abgeben davon, teilhaben lassen, nicht einfach immer alles nur für mich behalten.

Was bin ich nur für ein unsozialer Mensch!

Ich schalte meine Dunstabzugshaube ein – heimeliges Rauschen. Die Spülmaschine, die Waschmaschine, den Toaster, das Rührgerät. Ich drehe den Duschkopf bis zum Anschlag auf. Fehlt nur noch der Fernseher, das Radio, die Lautsprecher der Musikanlage. Zum Schluss noch die High-Heels abstauben und ran an die Füße damit.

Das ist pralles Leben! Einfach die Korken knallen lassen für alle!
Dumm nur, dass meine eigene Familie noch friedlich schläft.

Was bin ich nur für ein unsozialer Mensch!

3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Zwangslustigkeit von Morgenradio- oder Morgenfernsehmoderatoren? Nääää. Glücklicherweise höre ich ein Freies Radio … Ich rede morgens auch nicht gern …

(Ach, schau Dir den Satz mit den High.Heels nochmal an – und lösch diesen Satz aus meinem Kommentar.)

Herr Oter hat gesagt…

Stille ist für manche manchmal kaum zu ertragen und doch, zu viel Leben kann ebenso unerträglich sein.

Mann hab ich's gut!
Dann schalt ich einfach das Hörgerät aus und es bleibt nur noch das feine Vibrieren der Bässe.

Ich wünsche ein soziales, aufgestelltes und gemütliches Wochenende.

herbst.zeitlosen hat gesagt…

@emil: wenn ich dich nicht hätte! die high-heels hab ich mir nun abgestaubt. danke!

@herr otter: alles wird hoffentlich irgendwann gut! sonst wünsch ich mir ein hörgerät zu weihnachten! so eins, wie es der herr oter schon hat. aber eine wirkliche alternative ist das wohl kaum!